Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
paar Minuten wieder da. In der Zwischenzeit könnten Sie sich mit Iris - Professor Winslow - unterhalten. Sie wissen doch, unsere Fakultätsleiterin. Und Dr. Eliots Seminar ist in einer Viertelstunde beendet. Danach erwischen Sie ihn sicher.
Die anderen haben Nachmittagsvorlesungen - aber sie hatten auch am Dienstag einen vollen Stundenplan, darum nützen sie Ihnen vermutlich sowieso nichts.« Laura stieß ihren Stuhl Zurück, stand auf und strich ihr schlichtes graues Kleid glatt. »Ich hab’s gestern gekauft«, murmelte sie. »Trauerkleidung ist zwar aus der Mode, aber irgendwie kam es mir passend vor.«
Kincaid nickte stumm.
Iris Winslow stellte Kincaids Motive erst gar nicht in Frage.
Sie erhob sich hinter ihrem abgeschabten Eichenschreibtisch und schüttelte ihm die Hand. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie tief betroffen ich bin«, erklärte sie. Kincaid hatte überraschend Mühe mit dem aufrichtigen Mitgefühl, das man ihm überall entgegenbrachte.
Aber Iris Winslow war sowohl taktvoll als auch klug. Ohne eine Antwort zu erwarten, begann sie davon zu erzählen, wie sehr sie Vic gemocht hatte und wie gut sie zusammengearbeitet hatten. Das gab Kincaid Gelegenheit, seine Fassung wiederzugewinnen.
»Danke«, sagte er, nachdem sie geendet hatte. »Jetzt verstehe ich so manches, was Vics Arbeit betrifft, viel besser. Bis vor kurzem hatten wir ja keinen Kontakt.«
»Aber sie hat von Ihnen gesprochen ... Nicht am Anfang, natürlich. Erst nachdem wir uns besser kannten. Sie hielt große Stücke auf Sie.«
Und er hatte sie enttäuscht.
Dr. Winslow hatte dies als Trost gemeint und interpretierte sein Schweigen falsch. »Es hat uns alle getroffen«, bemerkte sie, sah aus dem Fenster und auf den Parkplatz hinaus. »Vics Tod war Schock genug. Aber dann hat die Polizei heute morgen von Mord gesprochen ...« Sie schüttelte leicht den Kopf.
»Ich weiß, es ist schwierig für Sie zu verstehen ...«
»Darum geht es nicht. Für mich war diese Neuigkeit eine Entscheidungshilfe. Ich mußte plötzlich feststellen, daß mir die Kraft fehlt, dergleichen in gewohnter Manier zu bewältigen. Und deshalb habe ich mich entschlossen, vorzeitig in den Ruhestand zu treten.« Sie wandte sich wieder Kincaid zu und fügte leicht amüsiert hinzu: »Keine Ahnung, warum ich ausgerechnet Ihnen das erzähle. Ich habe noch mit niemandem darüber gesprochen.«
»Ich bin ein Außenseiter«, vermutete er. »Ich kann weder eine Meinung dazu äußern noch eine Rechtfertigung für die Entscheidung fordern.«
Dr. Winslow lächelte. »Vielleicht sind Sie auch nur zu höflich, das zu tun.« Sie berührte flüchtig ihre Schläfe. »Aber Sie haben Vic nahegestanden - und ich habe einen Teil von mir in Vic wiedergefunden. Nie habe ich mir eingestanden, daß es eigentlich mein Wunsch gewesen wäre, daß sie mir auf diesem Posten nachfolgt. Aber das hat sich von selbst erledigt.«
»Und Sie sind sicher, daß Ihr Entschluß nicht übereilt ist?« fragte Kincaid zweifelnd.
»Nein. Ich spiele schon längere Zeit mit dem Gedanken. Vics Tod hat meinen Entschluß nur beschleunigt.« Dr. Winslow sah zu ihm auf. »Zweifellos wird Darcy Eliot aufgefordert werden, meine Nachfolge anzutreten - er hat es verdient, und der Zeitpunkt ist richtig. Vic und Darcy haben sich ständig gezankt wie unartige Kinder. Ich muß zugeben, daß ich unter einer Ägide >Darcy< um Vics Position gefürchtet hätte. Sie wäre ihm ohne meinen Schutz ausgeliefert gewesen. Jetzt ist das kein Thema mehr.«
»Warum sind die beiden nicht miteinander ausgekommen?« Kincaid erinnerte sich an Vics verschleierte Andeutungen über Probleme mit Kollegen.
»Ach, das ist eigentlich eine ganz dumme Geschichte.« Dr. Winslow machte eine geringschätzige Handbewegung. »Aber Universitätsfakultäten sind wie jeder in sich geschlossene Mikrokosmos - der kleinste Konflikt oder die nichtigste Meinungsverschiedenheit wird unnötig aufgebauscht. Darcy war nicht einverstanden, daß Vic eine eher populärwissenschaftliche Biographie schreiben, eine große Leserschaft erreichen wollte. Er war der Ansicht, es schade dem Ruf der Fakultät, was mehr als scheinheilig ist in Anbetracht der zahlreichen populärwissenschaftlichen Bücher, die er geschrieben hat.«
»Deshalb kam mir sein Name so bekannt vor«, sagte Kincaid. »Meine Mutter mag seine Bücher sehr. Ich habe leider noch keines gelesen.«
• »Sie sind sehr amüsant -
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