Debütantinnen - Roman
muss ich wissen, dass Du da bist − dass Du irgendwo in der Welt existierst. Sonst kann man nicht weitermachen. Was hätte es für einen Sinn?
Immer nur Dein
B
J ack fuhr die lange Auffahrt zum Wooton-Lodge-Pflegeheim hinauf, die sich fast einen Kilometer durch den Wald schlängelte, bevor hinter einer dichten Baumgruppe endlich das Gebäude in Sicht kam. Es lag viele Meilen entfernt vom nächsten Dorf und war schwer zu finden gewesen. Seine Mutter hatte seinen Vater vor gut zwei Wochen hierhergebracht, nachdem sie sich jahrelang allein mit ihm abgemüht hatte. Als Jack aus dem Auto stieg, sah er, wie prächtig das Haus war, und bewunderte die weitläufige Parklandschaft und den nachhaltigen Eindruck von Einsamkeit, den sie vermittelte. Gar nicht schlecht. Gepflegte Rasenflächen und Blumenbeete säumten das im neogotischen Stil erbaute Haupthaus mit seinen hohen, kathedralenartigen Bleiglasfenstern und Strebebögen. Weiter weg war ein künstlicher See zu sehen und etwas, das aussah wie umgebaute Ställe – in denen jetzt vermutlich eine moderne Arztpraxis untergebracht war. Seinem Vater ging es hier sicher gut.
Vom Rücksitz des Wagens holte er eine große Tasche, in der die alte Schreibschatulle steckte sowie ein Exemplar von Benedict Blythes Buch Keltische Mythen und irische Phantasie , das er in einem Antiquariat in Malvern aufgestöbert hatte. Ein überraschendes Buch, soweit er es gelesen hatte – lyrisch geschrieben und sehr viel unterhaltsamer, als er es von einem akademischen Werk erwartet hatte. Zu Blythes Popularität hatte sicher die Tatsache beigetragen, dass er die uralten Märchen in frische, höchst romantische Abenteuer zu übersetzen vermochte, verschwenderisch in ihren sinnlichen Einzelheiten und Andeutungen. Die beschreibenden Passagen von Land und Leuten, voller Sehnsüchte und Leidenschaften, waren durchdrungen von der Sexualität des Verfassers, zweifellos ein Spiegel der Widersprüchlichkeiten seiner zerrissenen Persönlichkeit.
Jack ging zum Haupteingang und lächelte die Frau am Empfangstresen an.
»Hi. Ich bin hier, um meinen Vater zu besuchen, Henry Coates.«
»Erwartet er Sie?«
»Ähm, eher nicht.«
»Und Sie sind?«
»Jack. Jack Coates.«
»Coates …« Sie tippte den Namen ein und überprüfte die Einzelheiten auf ihrem Computer. »Hier. Er ist im Ostflügel. Lassen Sie mich im Schwesternzimmer anrufen und schauen, ob ich jemanden finde, der Sie hinbringen kann. Möchten Sie so lange Platz nehmen?« Sie wies auf eine lange Lederbank.
»Danke.«
Jack spazierte herum, blieb nahe der Eingangstür stehen, plötzlich nervös und voller Angst. Von außen sah das Gebäude aus wie ein schickes Hotel. Doch jetzt sah er auch die Wachleute und die verschlossenen Türen. Es kam ihm tatsächlich vor wie eine Anstalt. War sein Vater wirklich so schlecht dran? Was, wenn er sich nicht wohlfühlte und wollte, dass Jack ihn hier rausholte? Vielleicht war es aber auch einer der Tage, an denen er Mühe hatte, Jack überhaupt zu erkennen?
»Es kommt gleich jemand«, sagte die Frau und legte den Hörer auf.
»Super.« Er nahm sich eine Hochglanzbroschüre des Pflegeheims, setzte sich und blätterte darin.
Wooton Lodge gehörte ursprünglich zum Rothermere Estate und wurde im Jahr 1873 als privates Jagdhaus erbaut, architektonisch der Kirche Notre Dame in Paris nachempfunden. Im Zweiten Weltkrieg diente es als psychiatrisches Krankenhaus und Sanatorium für Soldaten, die sich hier von den Traumata des aktiven Dienstes erholen sollten. Seine abgeschiedene Lage und die waldreiche Umgebung galten als ideale therapeutische Umgebung. Lord Rothermere vermachte das Anwesen dem Staat, und es blieb auch nach dem Krieg ein psychiatrisches Krankenhaus, bis die Alphagruppe es 1983 erwarb, um hier eine geriatrische Pflegeeinrichtung zu gründen, insbesondere betreutes Wohnen für Menschen, die an Parkinson, Alzheimer oder anderen Demenzerkrankungen leiden. Wir bieten die umfassendsten, modernsten Einrichtungen.
Eine Krankenschwester kam auf Jack zu. »Mr. Coates?«
Er ließ die Broschüre auf die Bank fallen und stand auf.
»Annabel«, stellte sie sich vor, und sie reichten einander die Hand. »Wenn Sie mir bitte folgen möchten.« Sie führte ihn einen Flur hinunter. »Waren Sie schon einmal hier?«
»Nein, es ist das erste Mal.«
»Dann erlauben Sie mir doch, Ihnen alles zu zeigen.« Sie benutzte eine Schlüsselkarte, und sie traten durch eine Tür und gingen einen weiteren Flur hinunter. »Hier
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