Debütantinnen - Roman
ist der Gemeinschaftsraum«, erklärte sie. »Es war vermutlich früher der große Salon. Wie Sie sehen können, wird er viel genutzt.«
Sie standen in der Tür eines höhlenartigen Raums mit übergroßen Dekorationen und einem gigantischen Kamin. Wer auch immer den Raum entworfen hatte, hatte sich ihn offensichtlich als modernes Camelot vorgestellt. Es gab Buntglasfenster mit mittelalterlichen Bildern und überwölbte Türöffnungen, und der Boden war aus großen Steinplatten, auf denen jetzt dicke Teppiche lagen. Jack sah sich unter den älteren Patienten um, einige spielten Bridge, andere dösten vor dem Fernseher. Einige tranken Tee und schauten aus dem nach vorn hinausführenden Erkerfenster. Sie wirkten eingeschüchtert, winzig gegen die schiere Pracht des Raumes. Ein Gefühl des Wartens lag in der Luft, als säßen sie in der Abflughalle eines Flughafens. Es beunruhigte Jack, sich vorzustellen, sein Vater säße hier und starrte mit all den anderen Patienten verloren aus dem Fenster, unsicher, wo er war und warum. »Toll. Sehr hübsch«, sagte er.
Sie gingen weiter. »Und hier das Speisezimmer.«
Er steckte den Kopf in den engen Raum mit der gewölbten Decke. An langen Tischen standen Plastikstühle, leicht zu reinigen, alle mit ausreichend Abstand voneinander. »Sehr hübsch«, sagte er noch einmal mit wachsender Besorgnis. Mit wem saß sein Vater am Tisch? War es wie im Internat? Gab es kleine Cliquen?
Sie führte ihn nach links durch eine Reihe großer Doppeltüren. Wie es schien, hatten sie jetzt die öffentlichen Räumlichkeiten hinter sich gelassen und waren in den Flügel mit den privaten Zimmern gelangt. Hier sah es mehr aus wie ein Krankenhaus und weniger wie eine Kathedrale. Die Decken waren niedriger, die Fußböden aus Holz, das unter ihren Schritten knarrte. Die Schwester blieb vor einem Zimmer zur Rechten stehen.
»Ich glaube, er schläft«, sagte sie leise.
Jack spähte hinein. Sein Vater saß aufrecht in einem Lehnstuhl, den Kopf zur Seite geneigt. »Dad?«
Seine Brust hob und senkte sich in einem ruhigen, besänftigenden Rhythmus.
»Das sind die Medikamente«, erklärte die Krankenschwester. »Kann ich Ihnen etwas bringen? Eine Tasse Tee?«
»Nein. Nein, ich brauche nichts.«
Sie ging, und Jack setzte sich auf das Bett, hob seine Tasche auf den Schoß und betrachtete seinen Vater. Er schien geschrumpft zu sein, seit er ihn das letzte Mal gesehen hatte; seine Hände und Füße wirkten viel zu groß für seine schmächtigen Gliedmaßen, und sein Gesicht ähnelte einer weichen gummiartigen Maske. Er saß in einem warmen Fleck Sonnenlicht und schnarchte leise mit offenem Mund.
»Dad? Dad?«
Sein Vater rührte sich leicht und schlug die Augen auf. »Hallo? Ja?«
»Ich bin’s, Jack.«
Der alte Mann rutschte ein wenig im Sessel herum. »Ja. Ich komme gleich.« Sein Kopf sank auf die andere Seite, und er schloss wieder die Augen.
Jack seufzte und sah sich um. Das Zimmer war gar nicht so schlecht. Das Bett war natürlich ein Pflegebett, doch die übrigen Möbel erkannte er, sie stammten aus dem Haus seiner Eltern. Zusammen mit Fotos, Gemälden und Büchern verliehen sie dem Raum den vertrauten Stil, den Jack mit dem Geschmack seines Vaters assoziierte. Er stand auf, betrachtete die Rücken der Bücher, die sein Vater las, nahm die Fotos, die er ausgewählt hatte, damit sie ihn hierher begleiteten, und betrachtete sie, befasste sich vielleicht zum ersten Mal im Leben mit der Frage, wer sein Vater war. Er bevorzugte einen bestimmten Kolbenfüller, um sein Kreuzworträtsel zu lösen, und hatte einen Hang zu sensationslüsternen historischen Romanen, die seine Phantasie beflügelten, und eine absolute Hingabe zu seiner Mutter, die ihn von nicht weniger als vier der Fotos herab anlächelte, die sich auf der Kommode drängten. Jack fuhr mit dem Finger über einen schimmernden Silberrahmen, auf dem große Daumenabdrücke waren, da sein Vater ihn zur Hand genommen hatte, um ihr Foto zu betrachten.
Der Raum ließ ihn an seine eigene Wohnung denken: ordentlich, karg, ohne Andenken oder Erinnerungen.
Er wandte sich von der Kommode ab und schaute auf seine Uhr. Dann holte er die Schreibschatulle aus der Tasche und legte sie, zusammen mit dem Buch und den Seiten, die er in der Bücherei fotokopiert hatte, auf den Beistelltisch neben den Sessel, damit sein Vater sie sehen konnte, wenn er die Augen aufschlug.
Er zog seine Jacke aus, faltete sie, setzte sich wieder aufs Bett und wartete. Der Wecker
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