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Decker & Lazarus 08 - Doch jeder toetet, was er liebt

Decker & Lazarus 08 - Doch jeder toetet, was er liebt

Titel: Decker & Lazarus 08 - Doch jeder toetet, was er liebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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schlimmer wurde es nicht. Endlich zufrieden, forderte sie mich auf, mich wieder anzuziehen und dann die Hände auf den Rücken zu nehmen. Als ich so weit war, legte sie mir Handschellen an. Sie saßen locker, ich hätte die Hände herauswinden können, aber ich sagte nichts. Sie griff mich am Arm und machte die Tür des Abstellraums wieder auf.
    Sie steckte den Kopf hinaus. Eine zweite Wache – diesmal männlich – stand draußen Schmiere. Die beiden nahmen mich auf die gleiche Weise zwischen sich wie Donattis Männer. Dieselbe Tour, andere Uniformen. Sie sagten mir, ich solle den Kopf gesenkt halten. Ich gehorchte widerspruchslos.
    Sie führten mich eine Reihe von spärlich beleuchteten Korridoren entlang, in denen es nach Urin und Schmutz stank. Ich hielt die Augen gesenkt und hatte keine Ahnung, wohin es ging. Mein Orientierungssinn hatte mich längst verlassen. Undeutlich nahm ich Stahltüren wie von Kühlkammern rechts und links neben mir wahr. Ich hörte auch Geräusche im Hintergrund – wütendes Brüllen, Schreie, Flüche in mehreren Sprachen und sogar Gelächter.
    Plötzlich blieben wir vor einer der Türen stehen. Die Frau nahm ein Schlüsselbund heraus und öffnete. Der Türflügel war so dick wie bei einem Banksafe. Ich wurde in einen Raum geschoben. Die Handschellen wurden abgenommen, und ich erhielt die Anweisung zu warten. Dann fiel die Tür ins Schloss, und ich war von Halbdunkel umgeben. Ich war glücklich, allein zu sein. Aber ich hatte auch schreckliche Angst, vergessen zu werden.
    Einen kurzen Moment lang erfasste mich Panik. Das Zittern kam in Wellen. Ich brachte alle Kraft auf, mich zu entspannen und eine Angstattacke abzuwenden. Nicht einmal entfernt konnte ich mir vorstellen, was Chris in den ersten paar Tagen durchgemacht haben musste … die Angst und die Depression … allein schon das Wissen, nicht frei zu sein.
    Für ihn würde es mindestens fünf Jahre lang so sein.
    Ich schlang die Arme um meinen Körper, als wäre er ein Rettungsanker, und sah mich um. Eine hermetisch abgeschlossene Gummizelle, nur dass durch ein kleines Fenster hoch oben ein Lichtstrahl herein fiel. Dieser Käfig konnte nicht größer sein als zwei mal zweieinhalb Meter. Aber wenigstens konnte ich stehen. Das war gut, weil ich zu viel Angst hatte, mich zu setzen.
    Ich bemühte mich, etwas zu hören … irgendetwas. Aber alles, was ich hörte, war das Geräusch meines eigenen Atems. Um nicht verrückt zu werden, fing ich an, in Gedanken zu zählen. Als ich bei dreihundertzweiundfünfzig war, ging die Tür wieder auf. Dieselben Wachen brachten jemand anderen in blauer Anstaltskleidung herein. Aber anders als bei mir war diese Gestalt größer als beide Wärter.
    Sie wiesen ihn an, sich mit dem Gesicht zur Wand zu stellen, und er tat es. Eine der Wachen flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er nickte, dann wurden ihm die Handschellen abgenommen, und er legte die Hände auf den Kopf. Die Wachen befahlen ihm, in dieser Position stehen zu bleiben, bis die Tür zuging. Als sie es tat, ließ er die Arme seitlich herunterfallen und drehte sich um.
    Chris.
    Wenigstens dachte ich, dass er es sei.
    Ich hatte einen schlaksigen Teenager gekannt. Was ich jetzt vor mir sah, war ein ausgewachsener Mann. Sein Oberkörper war fülliger geworden, der Bizeps wölbte sich unter den kurzen Ärmeln. Seine Hände waren irgendwie breiter geworden in den zwei Monaten. Sie waren groß, die geschmeidigen Musikergelenke von handwerklicher Arbeit derb geworden. Sein dichtes goldenes Haar war so kurz geschoren, dass nur ein pfirsichfarbener Flaum übrig geblieben war. Wangen und Kinn waren unter einem rot-blonden Gestrüpp verborgen.
    Ich brachte die Kraft auf, ihm in die Augen zu sehen. Sie waren so undurchschaubar wie immer. Wenigstens das war unverändert. Daran hielt ich mich fest. Jeder Strohhalm war willkommen. Er massierte seine Handgelenke.
    »Alles in Ordnung bei dir?«, fragte er mich.
    Dieselbe Stimme. Ich fühlte mich besser. Ich sagte: »Das sollte ich dich fragen.«
    Er antwortete nicht. Seine Augen hingen an meinem Gesicht.
    Ich sagte: »Wie … kommst du … zurecht?«
    Ganz leise sagte er: »Das ist nicht wichtig. Jetzt ist nichts wichtig. Nichts außer dir und mir.«
    Er lehnte an der Rückwand. Ich stand neben der verschlossenen Tür. Aber die Zelle war so klein, dass wir uns berühren konnten. Dennoch war ich es, die den ersten Schritt machte. Ich ging zu ihm, legte ihm die Arme um die Taille und hielt ihn ganz fest. Hart wie Stahl.

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