Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
diese Zeilen und ich muss gestehen, dass ich neugierig bin. Wie haben sich die Dinge entwickelt? Wenn Du diesen Brief in den Händen hältst, bedeutet es, dass Du in den Ozean gekommen bist, um ihn zu holen, und das macht mich noch neugieriger - als Deine Mutter und als die Frau, die schon viel zu lange gegen Tiamat kämpft.
Ich will ehrlich sein. Wassernixen können bis zu tausend Jahre alt werden und ich bin etwas über sechshundert Jahre alt. Aber ich bin müde, Tempest, müde vom Leben, das ich gewählt habe. Ich vermisse die Geborgenheit meines Heims, ich vermisse Dich, Deinen Vater und die Jungen. Wie geht es Moku? Es ist seltsam zu wissen, dass mein Baby jetzt acht Jahre alt ist, und Du, Du bist siebzehn!
Das wiederum bedeutet, dass ich ein paar Ratschläge für Dich haben müsste - für Dich, für Rio und für Moku. Doch ich habe keine. Ich kann Dir nichts erzählen, was Du mir glauben würdest, und ich kann Dir nichts mitgeben, was Du nicht selbst herausfinden müsstest. Abgesehen von dem Rat, Dich klug zu entscheiden. Bitte, Tempest, triff eine klügere Wahl, als ich es getan habe.
Die eigene Familie retten zu wollen, den Clan oder die Welt ist wie eine Sucht. Doch am Ende, wenn man alt und müde ist, ist es nicht genug. Ohne inneren Frieden ist nichts genug. Und ohne Liebe. Das ist es, was ich gelernt habe, auch wenn ich es zu spät tat.
Dennoch möchte ich Dich um einen Gefallen bitten. Ich habe kein Recht, das zu tun, aber ich habe das Gefühl, es tun zu müssen. Meine Königin ist uralt, mein Clan sogar noch älter, aber er ist in einer gefährlichen Lage. Trotz unseres langen Bestehens befinden wir uns am Rand einer Katastrophe. Zu viele haben sich über den Clan gestellt. Hailana braucht Dich. Mein Clan braucht Dich.
Ich werde nicht betteln und Deine Zeit nicht länger beanspruchen, ich möchte Dir nur noch sagen, dass Du mehr bist, als ich mir je erträumt habe, und doch bleibst Du immer noch unter Deinen Möglichkeiten. Ich danke Dir, Tempest, dass Du mich geliebt hast, als Du mich nicht verstehen konntest. Und dass Du mich verstehst, selbst wenn es Dir unmöglich ist, mich zu lieben.
Entscheide Dich klug.
Ich liebe Dich,
Mom
Ich ballte die Fäuste und ehe ich wusste, was ich tat, zerknüllte ich den Brief, bis er sich auflöste. Während ich langsam die Finger öffnete, sah ich zu, wie der Wind die kleinen Fetzen packte und sie in einem sanften Luftzug tänzelnd davongetragen wurden, sodass es für einen Moment aussah, als flatterten Schmetterlingsflügel im Abendwind.
Ich sah den Schnipseln nach, bis sie verschwunden waren, und dachte an Entscheidungsmöglichkeiten. Und an Liebe. Als ich mich umdrehte, war er da. Und irgendwie hatte ich es gewusst.
»Kona.«
Er lächelte. »Tempest. Was machst du hier?«
»Ich glaube, das ist mein Spruch, findest du nicht?«
»Nein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es meiner ist.« Er sah mich an mit seinen Topasaugen, in die ich mich so sehr verliebt hatte. »Ich bin viel öfter hier als du, zumindest nachts.«
»Wirklich?«
»Ja.« Er streckte den Arm aus und drehte mich sanft um, bis ich nicht mehr aufs Wasser hinaussah, sondern zu meinem Elternhaus. »Ja, wenn ich hier lange genug sitze und ganz genau hinschaue, kann ich dich in einem dieser Fenster erkennen.« Er zeigte auf das Wohnzimmerfenster und dann auf das Fenster meines Zimmers.
»Du hast mich beobachtet?« Mir stockte der Atem, sodass ich nur mit Mühe sprechen konnte.
Kona hielt es für Verärgerung und trat einen Schritt zurück. »Tut mir leid. Ich wusste, dass es nicht richtig ist, aber es war die einzige Möglichkeit, dich zu sehen. Du bist nie hergekommen, um mich zu treffen.«
Ich dachte an all die Nächte, in denen ich mich ruhelos gefühlt hatte, so wie heute Abend. In denen ich mir nichts mehr gewünscht hatte, als am Meer entlangzulaufen und mich von den Wellen an den Füßen kitzeln zu lassen. In denen ich mich so heftig nach ihm gesehnt hatte, dass ich fast daran zerbrochen wäre.
Wochenlang hatte ich die Sehnsucht ignoriert, sie unter meinem Zorn und meinen Schuldgefühlen erstickt. Und heute Abend hätte ich es fast wieder getan.
Wäre alles aus und vorbei gewesen, wenn ich es wieder getan hätte?, fragte ich mich entsetzt. Hätte ich diese Chance verpasst?
Kona trat näher, so nah, dass ich die Wärme seines Körpers und seinen Atem spüren konnte, der sich mit meinem vermischte. »Nein, du hättest gar nichts verpasst.« Er nahm meine Hände, zog sie an seine
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