Deer Lake 02 - Engel der Schuld
glaube ich.«
»Was hat er gesagt?«
»Er hat Shakespeare zitiert. ›Das erste, was wir tun: wir bringen alle Anwälte um.‹«
Es hallte durch ihren Kopf, die körperlose Stimme, die unheimliche Gewandtheit des Vortrags.
»Um welche Zeit war das?« fragte Mitch.
»Kurz nach zwei. Ich habe es gemeldet, aber was hätte man schon tun können?« sagte sie. »Ich dachte, es sei eine Drohung, die gegen mich gerichtet war. Ihr Wachhabender hat eine Streife geschickt. Ich habe nicht im Traum daran gedacht . . . Mir ist nie in den Sinn gekommen . . .«
»Du hast das unmöglich ahnen können, Ellen«, beschwichtigte Mitch sie. »Du kannst es immer noch nicht wissen.«
»Das hier hat alle Anzeichen eines Selbstmords«, sagte Wilhelm. »Keine Spuren gewaltsamen Eindringens, keine Anzeichen eines Kampfes. Das Gewehr stammte aus seinem eigenen Regal. Er hat den Abzug mit einer Schnur gekoppelt.«
»Ich habe ihn gestern abend gesehen«, sagte Ellen. »Er war aufgeregt, ein bißchen fertig vielleicht, aber nicht in selbstmörderischer Verfassung.«
»Er hatte gerade in einem hochkarätigen Fall einen Klienten verloren«, sagte Wilhelm.
»Aber er war bei diesem Fall nicht mit dem Herzen dabei«, sagte sie stur. »Ich glaube, er war gleichermaßen erleichtert und enttäuscht. Er hat mir gesagt, er würde Drohanrufe kriegen.«
»Drohanrufe?« fragte Wilhelm.
»Er hat gesagt, des wären die üblichen von der Sorte ›Scheiß Anwalt‹.«
»Leute, die sauer waren, weil er Wright verteidigte«, sagte Mitch. »Also, warum sollte ihn einer von denen umbringen, nachdem er aus dem Fall geflogen war?«
Wilhelm schüttelte den Kopf. »Das würden die nicht tun. Wo wäre da noch der Sinn?«
»Ihr habt recht«, sagte Ellen, »aber vielleicht hat er etwas falsch interpretiert. Könnte doch sein, daß er den gleichen Anruf wie ich gekriegt hat.«
»Ich kann keine Untersuchung auf so vagen Vermutungen aufbauen, Miss North.«
Mitch ignorierte Wilhelms Versuch, die Muskeln spielen zu lassen. »Was glauben Sie dann? Wright hat ihn gefeuert, weil er den Job zu lau angegangen ist, und der Komplize hat ihn umgenietet, um zu verhindern, daß er über Dinge redet, die nur den Anwalt und seinen Klienten etwas angehen?«
»Ein Anwalt kann solche Informationen nicht preisgeben«, argumentierte Wilhelm. »Das ist unehrenhaft. Man würde ihm die Lizenz entziehen.«
Mitch warf ihm einen ungeduldigen Blick zu. »Noch nie was von anonymen Hinweisen gehört? Mein Gott, Wilhelm, wann sind Sie aus dem Ei geschlüpft – gestern?«
Der BCA-Agent wurde rot vor Wut. »Wright hat Enberg gestern gefeuert. Warum volle vierundzwanzig Stunden warten, bis man ihn auslöscht! Das ist nicht logisch, und die Indizien bestätigen es auch nicht.«
»Weil es ein Spiel für sie ist«, knurrte Mitch. »Wright und sein Kumpel bringen gern Leute um den Verstand. Wright könnte Enberg alles mögliche gestanden haben, bevor er ihn feuerte, nur aus Freude daran zu wissen, daß der Mann sich ein Loch ins Gewissen bohren würde beim Nachdenken darüber, was er tun könnte. Das ist wie Fliegen die Flügel auszureißen. Dieser kranke Scheißkerl.«
Der Gedanke schoß eiskalt in Ellens Adern. Aber sie gab sich Mühe, die Reste ihrer harten Schale zusammenzuhalten, die sie sich bei ihrer Arbeit in der City angeeignet und vor zwei Jahren
abgelegt hatte.
»Bringen wir das hinter uns«, murmelte sie.
Mitch neigte den Kopf. »Wenn du meinst.«
Er dirigierte sie auf Denny Enbergs Schreibtisch zu. Bleib ruhig, bleib distanziert, sagte sie sich vor, ein alter Trick, der etwas eingerostet war vom seltenen Gebrauch. Ein Versuch, die Leiche nicht als menschliches Wesen zu sehen, dessen Frau draußen am Empfang saß. Es war nur eine Leiche, Beweismaterial bei einem Verbrechen, nicht ein Mann, mit dem sie erst gestern nacht in genau diesem Raum geredet hatte.
» Sie wissen, da ß ich nie von Ihnen verlangen w ü rde, da ß Sie Ihren Ehrenkodex verletzen, Denny. Aber ich vertraue darauf, da ß Sie das Richtige tun. Wenn Garrett Wright das Monster ist, f ü r das wir ihn halten, mu ß ihm Einhalt geboten werden. Seinem Komplizen mu ß Einhalt geboten werden. Wenn Sie etwas dazu tun k ö nnten, dann w ü rden Sie es tun, das wei ß ich. Sie w ü rden das Richtige tun. Nicht wahr, Denny? «
Sie würden es nie erfahren. Dennys Gewissen hatte sich verflüchtigt, zusammen mit dem Großteil seines Kopfes. Seine Leiche lag in seinem Schreibtischstuhl, die Schrotflinte, mit der er
Weitere Kostenlose Bücher