Deer Lake 02 - Engel der Schuld
erschöpfenden Vakuum gefangen-gehalten.
»Furchtbar, so den Tag zu beginnen«, knurrte Mitch. »Denny war ein anständiger Kerl für einen Anwalt.«
Ellen versuchte Luft zu holen und bemerkte, daß sie zu heftig atmete. Naßkalter Schweiß lag wie ein Film auf ihrer Haut.
»Sichert den Tatort«, sagte sie verzweifelt.
»Was?«
»Sichert den Tatort. Ich bin gleich da. Ich glaube, er könnte ermordet worden sein.«
Ein steter Strom von Fußgängern floß zwischen dem Donut Hut an der Ecke und Denny Enbergs Kanzlei am Rande des Southtown Shopping Center. Die Journalisten schwärmten aus wie Fliegen, hin und her, begierig auf Nachrichten, die ihnen durch verschlossene Türen und stämmige Cops verwehrt wurden. Einige erkannten Ellens Wagen und rannten auf sie zu, als sie auf den Parkplatz einbog. Sie tat, als würde sie sie nicht sehen, und ließ sie um ihr Leben springen, als sie in den inneren Kreis grünweißer Polizeifahrzeuge hinein, an ihnen vorbeiraste. Sie stieß die Tür auf, während sie den Schalthebel auf Parken stellte, und rannte auf das Gebäude zu, als könnte sie vielleicht doch verhindern, was bereits geschehen war.
Das Vorzimmer war überfüllt. Dennys Frau Vicki und seine Sekretärin kauerten zusammen auf dem Sofa, hielten einander fest und schluchzten, ihr Schmerz mischte sich zu einem herzzerreißenden Duett. Die Luft war voll von Zigarettenrauch und von saurem Schweißgeruch zu dick angezogener Körper und überlasteter Nerven.
Ellen packte einen dunkelgrünen Parkaärmel, ohne sich die Mühe zu machen, das Gesicht des Trägers anzusehen. »Wo ist Mitch?«
»Hinten. Sie sollten da nicht reingehen.«
»Das ist mein Job«, fuhr sie ihn an und ging los. Aber es war nicht ihr Job, der sie den kurzen Gang zu Dennys Privatbüro entlanglaufen ließ. Das erste, was wir tun: wir bringen alle Anw ä lte um . . .
Der Geruch traf sie wie eine mächtige Woge vier Meter vor der offenen Tür. Gewaltsamer Tod. Übelriechende Ausdünstungen von Blut, Blasen- und Darminhalt. Dick, würgend, klebrig, durchmischt mit dem scharfen, säuerlichen Geruch von Erbrochenem. Ellen versuchte, durch den Mund zu atmen. Sie kämpf te gegen den Drang zu würgen, betrat das Büro und hielt Ausschau nach Mitch.
Das Zimmer war heiß und überfüllt. Tote Tiere starrten mit Glasaugen von den getäfelten Wänden – ein Reh, ein riesiger Fisch mit bösen Zähnen, zwischen denen der Köder hing, der in irgendeinem nördlichen See sein Schicksal besiegelt hatte, eine Auswahl von Wildvögeln, die für die Ewigkeit mitten im Flug eingefroren waren. Ein Radio spielte Country-Musik, während tragbare Polizeifunkgeräte knisterten und Botschaften murmelten. Die Stimmen der Männer, die hier waren, um zu untersuchen und zu gaffen, verschmolzen zu einem undechiffrierbaren Gemurmel.
Marty Wilhelms Mund war zu einem Knoten zusammengezogen, sein blasser Teint kränklich perlgrau. Ein uniformierter Polizist saß auf einem niedrigen schwarzen Vinylsofa, den Kopf zwischen den Knien, mit einer Pfütze von Erbrochenem zwischen den Stiefeln. Ellen wandte sich von dem Anblick mit einem Ruck ab, etwas Bitteres stieg ihr in die Kehle. Jetzt hatte sie Mitch entdeckt.
»Hier«, sagte er und hielt ihr ein Döschen Mentholsalbe unter die Nase. »Bist du sicher, daß du hier dabeisein willst, Ellen? Er hat eine Schrotflinte benutzt. Es ist ziemlich grausig.«
»Ich habe das schon öfter gesehen«, sagte sie tapfer und schmierte sich Menthol unter ihre Nase.
»Ja, aber das waren sicherlich keine Leute, die du jeden Tag im Gericht gesehen hast.«
»Ich pack' das.«
»Du wirst gleich umfallen«, murmelte er. »Du bist weiß wie die Wand.«
»Wer hat ihn gefunden?«
»Seine Frau. Sie ist heute morgen gegen Viertel acht von der Arbeit gekommen. Keine Spur von Denny, keine Spur, daß er gestern überhaupt nach Hause gekommen war. Sie versuchte ihn hier anzurufen und bekam keine Antwort. Sie hat sich Sorgen gemacht, also ist sie hergekommen.«
»Chief Holt sagt, Sie hätten Grund zur Annahme, daß Enberg möglicherweise ermordet wurde.« Wilhelm drängte sich in das Gespräch und kam nahe genug, um alle wissen zu lassen, daß er einer der Zuschauer war, die bei diesem Anblick ihr Frühstück verloren hatten. Ellen schluckte und legte noch einmal Menthol auf.
»Ich habe gestern nacht einen Anruf gekriegt«, sagte sie und sah Mitch an. »Eine Stimme, die ich nicht erkannte.«
»Männlich oder weiblich?«
»Ich bin mir nicht sicher. Männlich,
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