Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Defekt

Defekt

Titel: Defekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
hat gestern Abend etwas gekauft. Sie weiß
genau, wo, und zwar im Vixen, wo sie nicht getanzt hat. Sie kann sich nicht
erinnern, Stevie dort wahrgenommen zu haben. Um diese Jahreszeit ist der Laden
nie sehr voll, und Stevie wäre ihr sicher aufgefallen. Sie hätte sie auch in
einer Menschenmenge, auf einer belebten Straße oder sonst irgendwo bemerkt.
    „Offenbar bist du die Kneipenpolizei“, sagt Lucy.
    „Du ahnst ja gar nicht, wie komisch das ist“,
erwidert Stevies verführerische Stimme. „Wo wohnst du denn?“
    „Nicht weit von hier.“
     
    6
     
    Die Gerichtsmedizin liegt wie in den meisten Städten
am Rand eines besseren Viertels und ist für gewöhnlich angegliedert an eine
medizinische Fakultät. Die Rückseite des Gebäudekomplexes aus rotem Backstein
und Beton geht auf den Massachusetts Turnpike hinaus. Auf der anderen Seite
befindet sich das Gefängnis von Suffolk County. Keine schöne Aussicht also, und
der Verkehrslärm verebbt nie.
    Benton stellt seinen Wagen an der Hintertür ab und
bemerkt, dass sich nur zwei weitere Fahrzeuge auf dem Parkplatz befinden. Der
dunkelblaue Crown Victoria gehört Detective Thrush, der Honda Geländewagen
vermutlich einem unterbezahlten forensischen Pathologen, der sicher nicht
erfreut war, als Thrush von ihm verlangt hat, um diese Uhrzeit im Institut zu
erscheinen. Während Benton an der Tür läutet, beobachtet er den verlassenen
Parkplatz, denn er geht immer davon aus, dass er nicht allein ist und von
irgendwoher Gefahr droht. Dann öffnet sich die Tür, und Thrush bittet ihn
herein.
    „Mein Gott, wie ich diese Bude nachts hasse“, sagt
er.
    „Tagsüber ist es hier auch nicht schöner“, gibt
Benton zurück.
    „Gut, dass Sie gekommen sind. Wie können Sie bei
diesem Wetter bloß in so was herumkurven?“, fragt Thrush mit einem Blick auf
den schwarzen Porsche, bevor er die Tür schließt. „Sie müssen verrückt sein.“
    „Allradantrieb. Als ich heute Morgen zur Arbeit
fuhr, hat es noch nicht geschneit.“
    „Die anderen Psychologen, mit denen ich zusammengearbeitet
habe, lassen sich nie hier blicken, ganz gleich, bei welchem Wetter“, meint
Thrush. „Dasselbe gilt für die Profiler. Die meisten FBI-Leute, die ich kenne,
haben noch nie einen Toten gesehen.“
    „Bis auf die Zombies in ihrer Zentrale.“
    „Das können Sie laut sagen. In der Zentrale der
State Police haben wir auch genug Leute, die nicht sehr lebendig wirken. Bitte,
hier entlang.“
    Auf dem Weg den Flur hinunter reicht er Benton einen
Umschlag.
    „Ich habe hier alles für Sie auf CD. Sämtliche Fotos
vom Tatort und von der Autopsie sowie alle bisher verfassten Berichte. Ist
alles drauf. Es sind schwere Schneefälle vorhergesagt.“
    Wieder muss Benton an Scarpetta denken. Morgen ist
Valentinstag, und eigentlich hatten sie geplant, den Abend bei einem
romantischen Abendessen am Hafen zu verbringen. Sie hatte vor, über das
Feiertagswochende des President's Day zu bleiben. Seit fast einem Monat haben
sie einander nicht gesehen. Und jetzt kommt vielleicht schon wieder etwas
dazwischen.
    „Soweit ich informiert bin, soll es nur leichte
Schneeschauer geben“, sagt er.
    „Vom Cape zieht ein Unwetter heran. Hoffentlich
haben Sie noch einen anderen fahrbaren Untersatz als den Sportwagen.“
    Thrush ist ein kräftig gebauter Mann, der nie aus
Massachusetts herausgekommen ist, was man ihm auch anhört, denn der Buchstabe
„R“ kommt in seinem Vokabular nicht vor. Er ist Mitte fünfzig, hat militärisch
kurz geschorenes graues Haar und trägt einen zerknitterten braunen Anzug.
Offenbar hat er den ganzen Tag pausenlos gearbeitet. Er und Benton gehen den
gut beleuchteten Flur entlang, der makellos sauber ist und nach Luftverbesserer
riecht. Von beiden Seiten gehen Lagerräume und Asservatenkammern ab, zu denen
man nur mit einer Chipkarte Zutritt hat. Es gibt hier sogar einen
Crash-Schlitten - Benton hat keine Ahnung, wozu - und ein
Raster-Elektronenmikroskop. So eine geräumige und gut ausgerüstete
Gerichtsmedizin hat Benton noch nie gesehen. Das Thema Personalausstattung
steht jedoch auf einem anderen Blatt.
    Das Institut leidet schon seit Jahren unter Personalmangel,
da die Gehälter zu niedrig sind, um für erfahrene forensische Pathologen und
wissenschaftliche Mitarbeiter attraktiv zu sein. Hinzu kommt, dass angebliche
Irrtümer und Verfehlungen zu erbitterten Grabenkämpfen und öffentlichen
Auseinandersetzungen geführt haben, die allen Beteiligten das Leben - und den
Tod - schwer

Weitere Kostenlose Bücher