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Defekt

Defekt

Titel: Defekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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klein und gefliest und mit dem
üblichen Instrumentenwagen, einer Digitalwaage, einem Asservatenschrank, einer
Autopsiesäge mit verschiedenen Sägeblättern, Schneidebrettern und einem
Autopsietisch ausgestattet, den man an ein an der Wand befestigtes Becken
einklinken kann. Die begehbare Kühlkammer ist in die Wand eingebaut. Die Tür
steht einen Spaltweit offen.
    Thrush reicht Benton ein Paar blauer
Nitril-Handschuhe. „Möchten Sie Überzieher für die Schuhe und eine Maske?“,
fragt er.
    „Nein, danke“, erwidert Benton, als Dr. Lonsdale aus
der Kühlkammer kommt. Er schiebt eine Bahre aus Edelstahl vor sich her, auf der
ein Körper in einem Leichensack liegt.
    „Wir müssen uns beeilen“, sagt er, während er den
Wagen neben dem Becken parkt und zwei der schwenkbaren Rollen blockiert. „Ich
habe schon mächtigen Ärger mit meiner Frau. Heute ist nämlich ihr Geburtstag.“
    Er öffnet den Leichensack und klappt ihn auf. Das
Opfer hat schlecht geschnittenes, kurzes schwarzes Haar, das noch feucht und
mit Gehirnmasse und anderen Gewebefetzen verklebt ist. Vom Gesicht der Frau ist
nicht viel übrig. Es sieht aus, als wäre in ihrem Kopf eine kleine Bombe
explodiert, was in gewisser Hinsicht auch zutrifft.
    „In den Mund geschossen“, erklärt Dr. Lonsdale. Er
ist jung und engagiert und deshalb auch ein wenig ungeduldig. „Massive
Schädelbrüche und Zerstörung des Gehirns, was für uns eigentlich auf Suizid
hinweist. Allerdings passt in diesem Fall sonst nichts zu einem Selbstmord.
Offenbar war ihr Kopf weit zurückgebeugt, als der Schuss fiel, was erklärt,
warum ihr Gesicht mehr oder weniger weggesprengt wurde und einige Zähne fehlen.
Auch das ist bei einem Selbstmord nicht weiter ungewöhnlich.“
    Er schaltet eine Vergrößerungslampe ein und hält sie
dicht an den Kopf.
    „Wir mussten ihr den Mund nicht aufzwingen“, stellt
er fest, „sie hat ja schließlich kein Gesicht mehr. Glück im Unglück.“
    Als Benton sich vorbeugt, steigt ihm der
süßlich-faulige Geruch verwesenden Blutes in die Nase.
    „Ruß an Gaumen und Zunge“, fährt Dr. Lonsdale fort.
„Oberflächliche Abschürfungen an der Zunge, der Umgebung des Mundes und der
Nasolabialfalte, und zwar als Folge der explosiven Ausdehnung der beim Schuss
freigesetzten Gase. Keine sehr hübsche Todesart.“
    Er zieht den Reißverschluss des Leichensacks ganz
auf.
    „Das Beste haben Sie sich wohl für den Schluss
aufgespart“, sagt Thrush. „Was halten Sie davon? Erinnert mich an Crazy Horse?“
    „Meinen Sie den Indianer?“ Mit einem zweifelnden
Blick auf ihn entfernt Dr. Lonsdale den Deckel von einem Glas voller klarer
Flüssigkeit.
    „Ja, ich glaube, der hat den Hintern seines Pferdes
mit roten Handabdrücken gekennzeichnet.“
    Auf dem Körper der Frau befinden sich rote
Handabdrücke, und zwar auf den Brüsten, auf dem Unterleib und auf der Innenseite
der Oberschenkel. Benton hält die Vergrößerungslampe dichter daran.
    Dr. Lonsdale betupft den Rand eines der Abdrücke mit
der Flüssigkeit. „Isopropylalkohol“, verkündet er. „Mit diesem Lösungsmittel
bekommt man es ab. Wasserlöslich ist die Farbe offenbar nicht. Sie erinnert
mich an das Zeug, das viele Leute für Kurzzeit-Tätowierungen benutzen.
Irgendein Farbstoff. Könnte aber auch ein wasserfester Markierstift sein.“
    „Ich nehme an, dass Sie so was noch bei keinem
anderen Fall hier in der Gegend festgestellt haben“, sagt Benton.
    „Nein.“
    Die vergrößerten Handabdrücke sind klar umrissen mit
deutlichen Rändern, wie mit einer Schablone gezogen. Benton sucht nach den
Strichspuren eines Pinsels oder einem anderen Hinweis darauf, wie die Farbe
oder Tinte aufgetragen worden sein könnte. Er erkennt nichts. Doch nach der
Farbstärke zu urteilen, ist diese Körperkunst jüngeren Datums.
    „Vermutlich hat sie es vor einiger Zeit machen
lassen. Mit anderen Worten: Es hat nichts mit ihrem Tod zu tun“, fügt Dr.
Lonsdale hinzu.
    „Dasselbe denke ich auch“, pflichtet Thrush ihm bei.
„Schließlich sind wir hier in der Nähe von Salem, wo viele Leute noch an
Hexerei glauben.“
    „Ich frage mich nur, wie lange es dauert, bis solche
Malereien verblassen“, sagt Benton. „Haben Sie nachgemessen, ob die Größe mit
der ihrer Hand übereinstimmt?“
    „Für mich sehen sie größer aus“, bemerkt Thrush und
hält seine eigene Hand hin.
    „Was ist mit ihrem Rücken?“, erkundigt sich Benton.
    „Einer auf jeder Gesäßhälfte, einer zwischen

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