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Defekt

Defekt

Titel: Defekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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dieses
Gesöff in dich reinschüttest“, entgegnet Lucy und beobachtet im Spiegel hinter
dem Tresen, wie sich wieder die Tür öffnet und noch mehr Schnee ins Lokal
gepustet wird.
    Der Luftzug, der durch den Windfang hereinfegt,
klingt wie raschelnde Seide und erinnert Lucy an Seidenstrümpfe, die im Sturm
an einer Wäscheleine hin und her gepeitscht werden, obwohl sie noch nie Strümpfe
an einer Leine gesehen oder gehört hat, welches Geräusch sie machen. Sie
bemerkt, dass die Frau schwarze Strümpfe trägt, denn hohe Barhocker und kurze
geschlitzte Röcke sind eine verhängnisvolle Kombination - außer, die Trägerin
befindet sich in einem Lokal, in dem die Männer ausschließlich aneinander
interessiert sind, was im Schwulenmekka Provincetown für gewöhnlich der Fall
ist.
    „Noch einen Cosmo, Stevie?“, fragt Buddy. Nun kennt
Lucy ihren Namen.
    „Nein“, antwortet sie an ihrer statt. „Stevie soll
mal probieren, was ich trinke.“
    „Ich bin für alles Neue offen“, sagt Stevie. „Ich
glaube, ich habe dich im Pied und im Vixen gesehen. Du hast mit verschiedenen
Leuten getanzt.“
    „Ich tanze nicht.“
    „Aber ich habe dich gesehen. Jemand wie du fällt
auf.“
    „Bist du oft hier?“, erkundigt sich Lucy, die Stevie
noch nie über den Weg gelaufen ist. Weder im Pied noch im Vixen oder in einem
der anderen Clubs und Restaurants in Provincetown.
    Stevie sieht zu, wie Buddy Tequila nachschenkt. Er
lässt die Flasche auf der Theke stehen und wendet sich einem anderen Gast zu.
    „Ich bin zum ersten Mal hier“, sagt Stevie zu Lucy.
„Ein Geschenk zum Valentinstag an mich selbst: eine Woche in Provincetown.“
    „Mitten im Winter?“
    „Soweit ich weiß, fällt der Valentinstag immer in
den Winter. Er ist mein Lieblingsfeiertag.“
    „Er ist kein Feiertag. Außerdem war ich in dieser
Woche jeden Abend hier, und ich habe dich noch nie gesehen.“
    „Wer bist du? Die Kneipenpolizei?“ Stevie schmunzelt
und sieht Lucy so eindringlich in die Augen, dass der Blick seine Wirkung nicht
verfehlt.
    Lucy spürt etwas. Nein, denkt sie. Nicht schon wieder.
    „Vielleicht bin ich im Gegensatz zu dir nicht jeden
Abend hier“, meint Stevie, und als sie nach der Tequilaflasche greift, berührt
sie Lucys Arm.
    Das Gefühl wird stärker. Stevie mustert das bunte
Etikett und stellt die Flasche dann zurück auf den Tresen. Dabei lässt sie sich
Zeit und streift Lucy mit dem ganzen Körper. Das Gefühl steigert sich.
    „Cuervo? Was ist denn so Besonderes an Cuervo?“,
fragt Stevie.
    „Woher weißt du, was ich mache?“, sagt Lucy. Sie
versucht, das Gefühl zu vertreiben.
    „Nur so eine Vermutung. Du siehst aus wie jemand,
der viel nachts unterwegs ist“, antwortet Stevie. „Rot ist deine echte
Haarfarbe, oder? Mahagoni, gemischt mit Dunkelrot. Gefärbtes Haar ist anders.
Und du trägst es erst seit kurzer Zeit so lang.“
    „Bist du Hellseherin?“
    Das Gefühl ist inzwischen unerträglich. Und es will
sich einfach nicht legen.
    „Nur so eine Vermutung“, antwortet Stevies
verführerische Stimme. „Und du hast es mir noch immer nicht verraten: Was ist
so Besonderes an Cuervo?“
    „Cuervo
Reserva de la Familia. Das ist
schon was Besonderes.“
    „Tja, stimmt wohl. Offenbar ist heute seit langem
wieder mal mein Abend“, sagt Stevie, berührt Lucy am Arm und lässt kurz ihre
Hand liegen. „Zum ersten Mal in Provincetown. Und zum ersten Mal ein Tequila
aus einhundert Prozent Agave für dreißig Dollar das Glas.“
    Lucy ist verwundert, woher Stevie weiß, dass das
Glas dreißig Dollar kostet. Für jemanden, der sich nicht mit Tequila auskennt,
scheint sie ziemlich gut informiert zu sein.
    „Ich glaube, ich trinke noch einen“, ruft Stevie
Buddy zu. „Und du könntest wirklich ein bisschen großzügiger einschenken. Sei
nett zu mir.“
    Lächelnd folgt Buddy der Aufforderung. Zwei Gläser
später lehnt Stevie sich an Lucy und flüstert ihr ins Ohr: „Hast du was da?“
    „Was denn?“, erwidert Lucy. Und dann gibt sie sich
dem Gefühl hin.
    Einem Gefühl, beflügelt von Tequila und ihrer
Absicht, die Nacht hier zu verbringen.
    „Du weißt schon, was“, erwidert Stevies Stimme
leise. Ihr Atem streift Lucys Ohr, und ihre Brust presst sich an ihren Arm.
„Was zu rauchen. Etwas, damit es sich lohnt.“
    „Was bringt dich auf den Gedanken, dass ich was
haben könnte?“
    „Nur so eine Vermutung.“
    „Du vermutest aber ziemlich viel.“
    „Hier kriegt man überall was. Ich habe dich
gesehen.“
    Lucy

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