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Deichgrab

Deichgrab

Titel: Deichgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
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Grabungen beginnen zu können.«
    Tom runzelte die Stirn.
    »Vielleicht kann ich Ihnen heute Nachmittag Genaueres sagen.«

     
    Ich kann so nicht weiterleben. Mir fehlt die Kraft. Ich kann diese Angst nicht mehr ertragen. Oder ist es etwa doch mein schlechtes Gewissen, das mich quält? Egal. Ich will nicht mehr. Ich kann einfach nicht mehr. Ich habe ein Geständnis geschrieben. Es liegt auf dem Küchentisch. Nichts Ausschweifendes, nichts Erklärendes.
    Was gibt es da auch schon groß zu erklären? Sie würden es doch nicht verstehen. Sie würden nicht verstehen, warum ich ihn umgebracht habe, wie ich dadurch meine große Liebe hatte retten wollen.
    Sie würden nicht verstehen, wie enttäuscht und gekränkt ich gewesen war, als ich herausgefunden hatte, wessen Tochter Britta gewesen war, als ich endlich in der Lage gewesen war, eins und eins zusammen zu zählen. Er hatte mich betrogen. Ich war nicht diejenige, die er liebte. Vielleicht hatte er mich nie geliebt.
    Sie würden nicht verstehen, wie verzweifelt ich gewesen war. Ich wusste doch nicht, was ich sonst noch hätte tun sollen. Ich hatte gedacht, der Tod würde auch die Erinnerungen mit sich nehmen. Aber dem war nicht so. Ganz im Gegenteil. Der Tod hatte noch weitere hinzugefügt, bestehende intensiviert.
    Ich hatte einfach gedacht, wenn er nicht mehr da wäre, würde auch der Schmerz über Brittas Verlust endlich verschwinden und er käme wieder zu sich, würde aus seiner Scheinwelt auftauchen. Wahrscheinlich hatte ich gedacht, wenn endlich alles, was ihn daran erinnerte, beseitigt war, er endlich zu mir zurückkehren würde. Was für ein Trugschluss!
    Nichts hatte sich geändert. Nichts von dem, was ich mir durch seine Ermordung erhofft hatte, war auch nur annähernd eingetreten.
    Stattdessen leide ich nun unter Schlaflosigkeit und einer panischen Angst. Einer Angst, der ich nur auf diesem Wege endlich ein für alle Mal entfliehen kann.

     
    Tom setzte sich in seinen Wagen und starrte auf die hölzerne Friedhofspforte.
    Er dachte an Hannes. Seine große Gestalt, sein ernstes Gesicht und die kurzen Augenblicke, in denen er ihm zu verstehen gegeben hatte, wie sehr er ihn mochte. Wieder fragte er sich, warum er niemals hierher zurückgekehrt war, warum er seinen Onkel nicht ein einziges Mal angerufen hatte?
    Er war selbst nicht besser gewesen als die Leute im Dorf. Unbewusst hatte er ihn für seine einsame Kindheit, für die Schmähungen seiner Mitschüler, für die vielen Nächte, die er weinend in seinem Bett gelegen hatte, verantwortlich gemacht.
    Er startete den Motor und fuhr langsam den schmalen Weg zurück. Als er den Wagen auf dem kleinen Platz vor dem Haus parkte, sah er Marlene am Fenster stehen. Sie hatte auf ihn gewartet. Als er ausstieg, winkte sie ihm zu. Er erwiderte den Gruß und ging den kleinen Steinweg hinauf zur Haustür. Eine wohlige Wärme stieg in ihm auf. Er hatte das Gefühl, nach Hause zu kommen.
    Marlene hatte einen Kaffee aufgebrüht. Sie saßen am Küchentisch und er erzählte ihr von der Exhumierung.
    »Es ist traurig, wenn man überlegt, was von einem Menschen übrig bleibt. Eine schäbige Holzkiste, die nach einiger Zeit zerfällt und irgendwann ist auch der Mensch, zumindest sein Körper, verschwunden.«
    »Asche zu Asche. Staub zu Staub. Es ist nun mal der Gang der Dinge, dass wir wieder zu dem werden, was wir einmal waren.«
    »Ja schon, aber dass so gar nichts zurückbleibt. So als hätte es den Menschen überhaupt nicht gegeben.«
    »Na ja, so ganz stimmt das ja nicht. Was bleibt, sind die Erinnerungen. Die Bilder in deinem Kopf und die Tage, die du mit ihm verlebt hast. Die bleiben und durch sie auch ein Teil von ihm.«
    Er nickte und blickte auf seine Uhr.
    »Wollen wir einen Spaziergang machen?«
    »Gerne!«
    Sie fuhren durch die Köge an den Außendeich. Am Hafen, von dem die Schiffe zu den Halligen fuhren, parkte er den Wagen. Der Wind wehte kräftig und sie kämpften sich gegen dessen Macht am Außendeich entlang. Marlene griff nach seiner Hand. Ein warmer Schauer durchflutete seinen Körper.
    »Was wolltest du eigentlich mit mir besprechen?«
    Er blieb abrupt stehen und spürte sein Blut am Hals pulsieren.
    »Ich möchte das Haus von Onkel Hannes behalten.«
    Erstaunt blickte sie ihn an. Er schluckte. Eigentlich war das ja nicht das, was er ihr hatte sagen wollen. Aber er brachte es einfach nicht fertig, ihr von Monika zu erzählen. Und er hatte nicht gelogen, als er sagte, er wolle das Haus behalten. Unbewusst hatte

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