Deichgrab
mit ihm traf, aber nichts deutete darauf hin.
»Darf ich Sie in ein Café einladen?«, fragte er Tom.
»Gerne.«
Sie gingen die Friedrichstraße ein kleines Stück hinunter. Schräg gegenüber von dem Laden, in dem Tom die Ansichtskarte gekauft hatte, versuchten sie unter den schützenden Markisen von Leysieffer einen Platz an einem der runden Tische zu ergattern. Es war nicht einfach, denn das Café war voller Gäste. Doch schon bald wurde ein Tisch frei und Martin Schleier drängte zwei ältere Damen zur Seite, die ebenfalls nach zwei Plätzen Ausschau gehalten hatten. Verärgert schüttelten sie den Kopf, aber der ehemalige Journalist beachtete sie gar nicht, sondern forderte Tom mit einer einladenden Geste auf, Platz zu nehmen.
Sie bestellten Cappuccino und Martin Schleier empfahl, den Erdbeerkuchen zu probieren. Er zündete sich eine Zigarette an und blickte Tom erwartungsvoll an.
»Nun, wie kann ich Ihnen helfen?«
Tom hatte sich gerade eine Gabel des Erdbeerkuchens in den Mund geschoben. Er kaute hastig, bevor er schluckte.
»Wie ich bereits am Telefon erwähnte, geht es um die Gerichtsverhandlung von Hannes Friedrichsen.«
Sein Gegenüber nickte auffordernd.
»Hannes Friedrichsen war mein Onkel. Er ist vor kurzem gestorben.«
»Mein Beileid.«
Tom machte eine leicht abwehrende Geste mit der Hand.
»Ich hatte kaum Kontakt zu ihm. Als Kind habe ich einige Jahre bei ihm gelebt. Nun bin ich zurückgekommen, um seinen Nachlass zu regeln.«
Martin Schleier drückte seine Zigarette in dem Edelstahlaschenbecher aus.
»Als ich bei meinem Onkel lebte, wusste ich nichts von dem Mordverdacht. Erst jetzt habe ich davon erfahren. Natürlich verstehe ich nun einige Begebenheiten aus der Zeit bei meinem Onkel besser. Zum Beispiel, warum er niemals Besuch bekam. Mir sind jedoch einige Dinge in den letzten Tagen aufgefallen, die mich daran zweifeln lassen, dass mein Onkel ein Mörder gewesen sein soll. Ich versuche einfach, mir ein Bild von der ganzen Sache zu machen.«
Herr Schleier zündete sich erneut eine Zigarette an.
›Für einen Asthmatiker raucht er viel‹, dachte Tom.
»Und was genau wollen Sie nun von mir?«
»Sie sollen mir lediglich erzählen, wie es damals war.«
Martin Schleier hustete leicht, tat, als hätte er sich am Rauch der Zigarette verschluckt.
»Das ist doch schon so lange her. Viel kann ich Ihnen da bestimmt nicht mehr erzählen. Und schon gar nicht, wie es war. Das Ganze war eine so kuriose Geschichte. So viel Wirbel und Aufregung. Keiner wusste, was wirklich geschehen war.«
Tom gab nicht nach. »Mich interessiert alles, jede noch so kleine Begebenheit, an die Sie sich erinnern, könnte mir helfen.«
»Na gut, dann beginne ich am besten ganz von vorn.«
Der Körper des Mannes sackte auf dem Stuhl nach hinten. Er schloss kurz die Augen, so als ob er dadurch tiefer in seine Erinnerungen eintauchen könnte. Nach einem weiteren Husten begann er zu erzählen:
»Ich hatte gerade mein Studium beendet, als ich die Stelle als Volontär bei der Zeitung in Husum bekam. Bis dahin hatte ich meist nur für kleinere Zeitungen gearbeitet und Berichte über Kaninchenzüchtervereine oder Landfrauentreffen schreiben dürfen. Der Job bei der Husumer Zeitung war mein erster großer Durchbruch. Ich arbeitete in der Lokalredaktion. Der Chefredakteur hielt große Stücke auf mich. Er gab mir auch die Story über die Gerichtsverhandlung. Hatte ja keiner geahnt, dass das so eine große Story werden würde.«
Martin Schleier trank einen Schluck Cappuccino. »Zunächst sah alles nach einem ganz normalen Mordprozess aus, aber mehr und mehr zeichneten sich Lücken auf der Seite der Anklage ab. Wo war die Leiche? Hannes hatte ein mehr oder weniger gutes Alibi für die Tatzeit und es gab kein wirkliches Motiv. Gut, sexueller Missbrauch mit Todesfolge war nicht auszuschließen, aber in Hannes Vergangenheit gab es keinerlei Anzeichen für eine derartige Neigung. Jedenfalls nicht wirklich. Lediglich ein paar recht unglaubwürdig erscheinende Zeugenaussagen.«
»Von wem?«
»Der eine war mal ein guter Freund gewesen, das weiß ich noch«, Martin Schleier versuchte, sich an den Namen zu erinnern, »Boy oder Bahne oder so ...«
»Vielleicht Broder Petersen?«
»Ja, ich glaube, so war der Name. Wie kommen Sie darauf?«
»Man hat mir von der Freundschaft zwischen Broder und meinem Onkel erzählt. Und die anderen?«
»Tut mir leid, aber an die Namen kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiß nur noch, dass
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