Deichgrab
das mitnimmt, wenn es um die Sache von damals geht.«
»Ja, ich weiß. Obwohl ich nicht verstehe, warum sie sich so aufregt. Mit mir spricht sie ja nicht darüber.«
Rieke räusperte sich.
»Weißt du, die ganze Aufregung um Hannes und Britta hat Elke sehr mitgenommen. Sie will einfach nicht daran erinnert werden.«
»Aber wieso hat sie sich denn damals so aufgeregt?«
Rieke zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung, aber du weißt doch selbst, wie fertig sie war. Da ist es ja nur verständlich, dass sie nicht mehr mit der Sache konfrontiert werden will.«
»Genau«, mischte Thomas sich nun ein, »besser du lässt die Dinge auf sich beruhen. Elke braucht nicht unnötig belastet zu werden.«
Haie verstand die ganze Sache nicht. Gut, Thomas und Rieke wussten wahrscheinlich auch nicht mehr. Sie wollten nur, dass es Elke gut ging. Das konnte er verstehen. Das wollte er ja auch. Warum Elke sich jedoch immer noch so darüber aufregte, interessierte sie scheinbar nicht. Aber vielleicht war gerade das wichtig. Wenn man den Grund wüsste, vielleicht könnte man Elke dann helfen. Offensichtlich hatte sie es bis heute nicht verarbeitet.
Er erinnerte sich, wie sehr sie sich alles zu Herzen genommen hatte. Zehn Kilo hatte sie abgenommen und schlecht hatte sie ausgesehen. Bleich und krank, ständig gerötete Augen. Er hatte sie häufig gefragt, was denn los sei. Die Tatsache, dass Britta höchstwahrscheinlich ermordet worden war, war schon schlimm, aber warum hatte Elke sich das so sehr zu Herzen genommen? Schließlich waren sie nicht verwandt oder besonders befreundet gewesen, weder mit Brittas Eltern, noch mit Hannes Friedrichsen. Doch Elke war ihm immer wieder ausgewichen, hatte wortkarg nur geantwortet: ›Wie sehr man sich doch in einem Menschen täuschen kann.‹
Thomas erhob sich vom Frühstückstisch. »Ich muss los. Die Arbeit ruft.«
Haie stand ebenfalls auf.
»Also, misch dich in die Sache am besten nicht ein. Denk an Elke.«
Haie nickte nur. Sie gingen in den Flur. Thomas zog sich sein Jackett über und reichte ihm den Schlüssel.
»Und wenn es dazu beiträgt, dass dieser Tom hier möglichst bald wieder verschwindet: Der Schlüssel ist von der Deutschen Bank in Flensburg. Ich habe da mal ein Praktikum gemacht vor vielen Jahren, aber den Schlüssel erkenne ich an der Ziffernfolge. 01 steht für die Hauptfiliale, 089 für Flensburg und 37 ist die Schließfachnummer. Ob das heute noch so ist, weiß ich natürlich nicht. Aber ich kann es mir durchaus vorstellen, in solchen Dingen ist die Deutsche Bank eher altmodisch.«
18
Der Zug hatte den Hindenburgdamm hinter sich gelassen und zuckelte gemächlich über die Insel. Tom genoss die Schönheit der Natur. Das eigenartige Gefühl in seinem Bauch war immer noch da. Es war, als hätte die Insel ihren Zauber über ihn gelegt. Mit einer gewaltigen Macht nahm sie ihn vollends in Beschlag, zwang seine Sinne sich ausschließlich ihrer Schönheit zu widmen. Ihre Luft zu atmen, ihrer Stimme zu lauschen, sie zu fühlen und vor allem zu bewundern.
Der Zug hielt das erste Mal in Morsum. Nur wenige Fahrgäste stiegen aus. Dann ging es weiter. Nach einem weiteren Halt in Keitum erreichten sie schließlich Westerland, die Endstation. Der Zug hielt in dem Sackbahnhof.
Auch hier auf der Insel schien die Sonne, aber es war kühler als auf dem Festland. Der Wind wehte etwas stärker. Er zog sich seinen Pullover über und ging durch den kleinen Bahnhof, über den Vorplatz hinüber in die Fußgängerzone. Es war erst Viertel nach zwölf und er überlegte, wie er die Zeit bis zu seiner Verabredung mit Martin Schleier am besten nutzen konnte. Er entschloss sich, durch die Friedrichstraße Richtung Strand zu bummeln.
An der dicken Wilhelmine blieb er schmunzelnd stehen. Irgendein Witzbold hatte der dicken Brunnendame einen BH umgebunden und einen Hut aufgesetzt. Etliche Touristen machten ein Foto davon.
Bei Wegst, einem Porzellan- und Geschenkartikelladen, kaufte er eine Postkarte von der Wilhelmine. Die wollte er Monika schicken. Sie machte immer einen riesigen Zirkus um ihr Gewicht, hielt ständig Diät. Mit der Karte würde er sie beruhigen und ihr mitteilen, dass hier auf Sylt wieder fülligere Frauen gefragt wären.
Schon bald hatte er die Strandpromenade erreicht. Er zahlte sechs Mark für eine Tageskarte und trat ans Geländer der Promenade. Der Strand war voll mit Sonnenhungrigen. Ein buntes Bild aus Strandtüchern, kleinen Fähnchen, Strandmuscheln, Windrädern und
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