Deichgrab
Uhr.
»Oh, schon so spät. Ich habe gar nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen ist.«
»Ich auch nicht.«
Sie blickte ihn an, so als wartete sie auf irgendetwas. Aber worauf? Ein Abschiedskuss? Ein paar nette Worte? Oder wartete sie auf eine Einladung zu einem Drink an der Hotelbar? Er fühlte sich hin und her gerissen. Zum einen wusste er nicht, was sie von ihm erwartete, zum anderen war er sich überhaupt nicht darüber im Klaren, was er wirklich wollte. Er dachte, es sei besser, sich zu verabschieden. Flüchtig umarmte er sie, damit sie auf gar keinen Fall bemerkte, wie aufgewühlt er war.
»Bis morgen! Ich ruf dich an.«
Er hatte sich bereits einige Schritte entfernt, als sie seinen Namen rief. Sein Herz begann plötzlich zu rasen, ihm stockte der Atem. Er blieb stehen und drehte sich langsam um. Sie stand noch immer vor der Eingangstür und lächelte.
»Kann ich dich vielleicht noch zu einem Drink einladen?«
40
Als Tom den Flur betrat, hörte er Haie bereits in der Küche hantieren.
»Guten Morgen«, rief er gutgelaunt.
»Guten Morgen!«
»Ich habe Brötchen geholt.«
Tom wedelte mit der Papiertüte als Alibi vor Haies Gesicht herum.
»So? Ist die nächste Bäckerei jetzt erst in Hamburg?«
Tom folgte ihm in die Küche und setzte sich an den bereits gedeckten Frühstückstisch. Haie brühte den Kaffee auf und setzte sich ebenfalls.
»Und«, fragte er, »wie war denn deine Verabredung?«
»Sehr nett. Und wie war es bei dir?«
»Geht so.«
Er ließ sich jedoch nicht vom Thema ablenken.
»Und ist sie hübsch?«
Tom spürte, wie ihm die Röte in die Wangen schoss. Er nickte leicht und überlegte, wieso er ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte. Schließlich war es ganz allein seine Angelegenheit, mit wem, wann und wie lange er seine Zeit verbrachte. Was ging ihn das an? Mit fester Stimme bestätigte er sein Nicken.
»Ja, ist sie.«
Haie ließ die Sache schließlich auf sich beruhen. Anstatt noch weitere Fragen über die Verabredung zu stellen, erzählte er von seinem Erlebnis in der Kneipe.
»Ich glaube, einige im Dorf wissen doch mehr von der ganzen Sache als sie zugeben. Gut, der größte Teil plappert wahrscheinlich eh nur nach, was ihnen andere erzählt haben. Aber dass Max angeblich nichts mitbekommen haben will, ist schlichtweg gelogen. Hat er doch nur gesagt, um sich bei den anderen beliebt zu machen. Auf jeden Fall das mit dem Justizfehler.«
Tom hatte aufmerksam zugehört.
»Also ist an der ganzen Sache doch was faul! Und Onkel Hannes ist nicht der Mörder von Britta?«
»Faul? Oh ja, das würde ich sagen. Aber ob Hannes nun etwas mit dem Verschwinden von Britta zu tun gehabt hat oder nicht? Da kann ich mir beim besten Willen kein Urteil drüber erlauben. Aber weißt du, ich will nun endlich die Wahrheit wissen. Wirklich. Mir ist gestern klar geworden, dass ich viel zu lange mit diesen ganzen Lügen gelebt habe. Damit ist jetzt Schluss. Und deswegen werde ich mit Elke reden.«
Tom sah ihn erstaunt an. So entschlossen kannte er ihn noch gar nicht. Er nickte ihm zu.
»Heute Nachmittag kommt Marlene. Sie will uns helfen, die Wahrheit herauszufinden.«
»Gut, wir können jede Hilfe gebrauchen.«
Nach dem Frühstück machte Haie sich auf den Weg zur Arbeit. Tom blieb noch eine Weile in der Küche sitzen und ließ die letzten Stunden Revue passieren. Dabei regte sich natürlich gleich wieder sein schlechtes Gewissen. Wie konnte er Monika das nur antun? Er liebte sie doch schon länger nicht mehr. Wieso hatte er sich das nicht eingestehen können? Haies Worte klangen in seiner Erinnerung nach:
›Mir ist gestern klar geworden, dass ich viel zu lange mit diesen ganzen Lügen gelebt habe. Damit ist jetzt Schluss.‹
Er griff nach seinem Handy und wählte Monikas Nummer. Vielleicht war es Schicksal, aber es meldete sich lediglich die Mailbox. Er hinterließ eine kurze Nachricht und legte auf. Kaum hatte er jedoch das Handy aus der Hand gelegt, klingelte es. Er dachte, es wäre Monika, doch als er das Gespräch entgegennahm, meldete sich Herr Simons von der Bank.
»Sie hatten ja um Auskunft über den Auftraggeber der Gutschriften auf dem Sparkonto Ihres Onkels gebeten.«
»Ja, richtig.«
Endlich war der Zeitpunkt gekommen, der aufdecken würde, wer der geheime Absender des Geldes war. Gespannt wartete er auf den Namen, aber Herr Simons druckste herum.
»Ich weiß nicht. Wissen Sie, wegen dem Bankgeheimnis und ...«
»Herr Simons, bitte, es ist wichtig. Außerdem kann
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