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Deichgrab

Deichgrab

Titel: Deichgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
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erstmal Blut abgenommen, und nun wollen sie einige Tests machen. Ich soll über Nacht zur Beobachtung hier bleiben.«
    »Ja aber hat denn der Arzt nicht irgendeinen Verdacht? Ich meine, ob es ein Virus ist oder so?«
    Haie schüttelte den Kopf.
    »Zu mir hat er nichts gesagt. Man müsse die Ergebnisse erst einmal abwarten. Allerdings habe ich mitbekommen, wie er mit einem Kollegen telefoniert hat, während ich mich wieder angezogen habe.«
    »Und?«
    »Er meinte, er habe den Verdacht, es könne sich um eine Thallium-Vergiftung handeln.«
    »Thallium?«
    »Rattengift«, beantwortete Marlene seine Frage.

47
    Frieda saß schluchzend in dem Büro von Dr. Roloff.
    »Aber, aber, Frau Mommsen. So können Sie die ganze Angelegenheit nicht sehen. Es ist ja kein Abschied für immer!«
    »Aber wie soll ich denn nach Hamburg kommen? Wissen Sie eigentlich, was eine Zugfahrkarte kostet?«
    Der Arzt schüttelte leicht seinen Kopf.
    »Aber Sie können bei der Krankenkasse vielleicht Fahrtkostenzuschüsse beantragen. Und bedenken Sie doch nur, in der Spezialklinik kann Ihr Mann viel besser versorgt werden. Wollen Sie denn nicht auch das Beste für ihn?«
    Sie blickte ihn mit blitzenden Augen an.
    »Das Beste ist, wenn er in meiner Nähe bleibt! Sie wollen doch nur alles kaputtmachen. Wissen Sie eigentlich, was eine Trennung von meinem Mann für mich bedeutet?«
    Wieder schüttelte er leicht seinen Kopf hin und her. In der Tat hatte er selten erlebt, wie eine Ehefrau sich so aufopfernd um ihren Mann kümmerte. Jeden Tag, bei Wind und Wetter kam Frieda Mommsen ihren Lorentz besuchen, las ihm stundenlang aus der Zeitung vor, brachte ihm Pralinen oder Kuchen mit. Und das, obwohl seine Krankheit immer weiter fortschritt. Es war meist nicht einfach für die Angehörigen von Alzheimerpatienten, mit der Krankheit umzugehen. Viele schränkten den Kontakt ein oder brachen ihn ganz ab, wenn der Patient aufhörte sich an sie zu erinnern, wenn er nur teilnahmslos dalag und an die Decke starrte. Bei ihr war das anders. Je schlechter es ihrem Mann ging, desto intensiver wurde ihre Zuneigung. Man konnte beinahe vermuten, es wäre ihr gar nicht so unrecht, dass er sich an so einige Dinge nicht mehr erinnern konnte.
    »Also, Frau Mommsen, ich habe einer Verlegung für die nächste Woche zugestimmt. Wenn Sie wollen, kümmere ich mich um einen Begleitplatz für Sie während des Transportes.«
    Sie nickte kraftlos und wusste, es war zwecklos, sich gegen eine Verlegung auszusprechen. Sie hatte auch gar nicht die Mittel, um für eine andere Unterbringung aufzukommen. Und sie konnte sich nun wirklich nicht allein um ihn kümmern. Das hatte sie jahrelang versucht.
    Sie stand auf und verließ ohne ein weiteres Wort das Büro. Vor der Tür zu Lorentz’ Zimmer wischte sie sich schnell die letzten Tränen von ihrem Gesicht. Mit einem Lächeln betrat sie den Raum.
    Wie üblich lag er in seinem Bett. Die Augen hatte er weit geöffnet. Er blickte ins Leere. Sie nahm seine Hand und während sie immer wieder über die blasse Haut strich, redete sie ununterbrochen auf ihn ein:
    »Du musst nicht traurig sein! Sieh mal, ich will ja nur das Beste für dich. Und das neue Heim ist viel, viel schöner. Dr. Roloff sagt, man kann dich dort besser heilen. Stell dir doch nur einmal vor, wie es wäre, wenn du wieder ganz gesund werden würdest. Wäre das nicht schön?«
    Sie strich ihm zärtlich über den Kopf.
    »Und ich komme dich auch so oft es geht besuchen. Irgendwie geht das schon. Kennst mich ja. Für dich tue ich alles!«
    Sie griff nach dem Buch auf dem Nachttisch und fragte sich, warum es aufgeschlagen war. Sie blätterte kurz zwischen den Seiten und begann zu lesen:
    »›Du musst es wissen‹, sagte sie, ›ich war heut morgen noch bei deinem Vater und fand ihn in seinem Lehnstuhl eingeschlafen, die Reißfeder in der Hand, das Reißbrett mit einer halben Zeichnung lag vor ihm auf dem Tisch. Da er erwacht war und mühsam ein Viertelstündchen mit mir geplaudert hatte und ich gehen wollte, hielt er mich so angstvoll an der Hand zurück, als fürchte er, es sei zum letzten Mal ...‹.«
    Ihr rannen die Tränen übers Gesicht. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie so fest sie nur konnte.

     
    Marlene und Tom waren gegangen, nachdem Haie erschöpft eingeschlafen war. Leise hatten sie sich aus dem Zimmer geschlichen.
    »Möchtest du irgendwo einen Kaffee trinken gehen?«, fragte Marlene.
    »Ein Spaziergang am Meer wäre mir jetzt lieber. Ich muss einen klaren Kopf

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