Dein Blick so kalt
Spinnweben hatte sie ohnehin längst weggeputzt und es gab Schlimmeres. Echt!
Diesmal ging es leichter. Vielleicht hatte sie ja abgenommen. Die ganze Zeit spürte sie die Blicke des Reptilienauges im Rücken und die Versuchung war groß, Mister Arschloch ihren wunderbaren Schraubenzieher zu zeigen. Doch das wäre dumm.
Als sie ihr Ziel erreichte, stand sie wieder vor einem Problem. Hier war es so verdammt eng, sie hatte kaum Bewegungsfreiheit.
Die Platte war etwa fenstergroß und rundherum mit Schrauben befestigt. Je acht Stück oben und unten und fünf an jeder Seite. Das waren sechsundzwanzig Schrauben, die sie lösen musste. Aber wie?
Plötzlich kam ihr eine Frage in den Sinn: Wie hatte Mister Arschloch die überhaupt hineinbekommen? Das konnte er nur geschafft haben, wenn er sich bäuchlings auf die Öltanks gelegt hatte.
Lou zog sich auf die Mauer hoch und setzte sich. Die Beine baumelten im Spalt. Tatsächlich. Die Staub- und Dreckschicht auf den beiden mittleren Tanks war verschmiert und teilweise weggewischt. Dort hatte er gekauert und auf dem Bauch gelegen, hatte Löcher gebohrt, gedübelt und geschraubt. Lou hangelte sich auf die Ölbehälter und ging im Entenwatschelgang darüber. Denn aufrichten konnte sie sich nicht. Zwischen ihr und der Decke war weniger als ein Meter Luft.
Leider hing die Kamera unerreichbar zwischen Tanks und Tür. Sosehr Lou sich auch reckte und streckte, sie konnte sie nicht erreichen. Frustriert wandte sie sich ab und ihrem ursprünglichen Ziel zu. Sie watschelte über die Tanks, bis sie die Außenmauer erreichte. Die Platte befand sich jetzt direkt vor ihr. Die obere Reihe Schrauben war problemlos zu erreichen und auch an die anderen würde sie mit einigen Verrenkungen kommen. Das sah doch gut aus. Lou zog das Metallstück hervor, legte sich auf den Bauch und versuchte, ihr Werkzeug in den Schraubenschlitz zu schieben. Es passte nicht. Sosehr sie auch stocherte, sie bekam das Ding nicht hinein. Es war zu dick. Viel zu dick! Vor Enttäuschung und Frust ließ sie den Kopf sinken, bettete ihn auf ihre Arme und hätte beinahe geheult. Doch diesen Triumph gönnte sie Mister Arschloch nicht. Trotzig rappelte sie sich auf und machte dabei eine Entdeckung. Zwischen der Platte und der Mauer lugte etwas hervor. Fast ebenso grau wie die Wand. Nur einen Millimeter breit. Ein kleines Stück Papier. Lou zog es hervor. Es war ein Foto, nur etwa doppelt so groß wie ein Passbild. Dunkle Farben. Wenig Licht. Eine Matratze auf einem Boden, darauf ein Mädchen. Es lag auf dem Rücken. Arme und Bein entspannt ausgestreckt. Das einzig helle auf diesem Foto war das Gesicht. Weiß, beinahe wächsern. Es sah aus, als ob das Mädchen schlafen würde. Doch die Augen waren geöffnet, blickten ins Leere. Lou kannte dieses Gesicht. Das war Daniela. Und sie war tot.
Vor Lous Augen begann es zu flimmern. Das Bild glitt ihr aus der Hand und fiel zu Boden. Zuerst konnte sie nichts denken, ihr Hirn war wie leer gepustet. Doch dann jagten die Gedanken wie Fledermäuse durch die Nacht. Er war das. Er hatte Daniela… und jetzt sie. Was hatte er vor? Er würde sie töten! Vergiften! Er sah ihr zu und hatte alles unter Kontrolle, während sie glaubte, ihm eins auswischen zu können. Was war sie doch für eine Idiotin. Mister Arschloch hatte das alles geplant. Er hatte gewusst, was sie tun würde, und Danielas Foto als Botschaft für sie platziert.
Du entkommst mir nicht!
60
Nachdem Meo in die Biedersteinstraße gedüst war, um Onkel Achims Computer sicherzustellen, fuhr Lysander in die Wohnung seines Bruders. Er konnte nicht heim. Er konnte nicht schlafen. Nicht, solange er nicht wusste, was mit Lou war. Sabine gab ihm eine Decke und irgendwann musste er wohl doch eingepennt sein. Denn als er aufwachte, war heller Tag und er hatte nicht gehört, ob Meo heimgekommen war.
Für Lous Onkel würde ich keine Hand ins Feuer legen. Das hatte Meo gestern gesagt. Und es sah ganz so aus, als ob er damit richtig lag. Es gab Beweise. Kleidungsstücke. Die Rechnung aus der Bar.
In der Wohnung war es ruhig. Lysander warf einen Blick aufs Handy. Es war kurz vor sieben. Kaffeeduft stieg ihm in die Nase. Er schlüpfte in die Jeans, zog das Shirt über den Kopf. Im Flur traf er Sabine. »Ich muss los. Meo schläft noch. Kaffee ist schon fertig. Tschüss.« Und weg war sie. Mit einem Becher Kaffee setzte er sich an den Küchentisch. Die Benommenheit der Nacht wich nach den ersten Schlucken. Dafür brach der Wirbelsturm aus
Weitere Kostenlose Bücher