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Dein Blick so kalt

Dein Blick so kalt

Titel: Dein Blick so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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den Scherben unter einem der Öltanks. Steinzeitmenschen waren schlauer als sie. Mist! Wie sollte sie sich jetzt ein Werkzeug bauen, mit dem sie die Schrauben aus dieser Platte drehen konnte?
    Irgendwie musste sie an den Deckel gelangen und Mister Arschloch würde sie dabei beobachten und sich köstlich amüsieren. Bei dieser Vorstellung erlosch alle Energie in ihr. Lou ließ sich auf die Matratze fallen und schloss die Augen. Sie war müde und hungrig und vor allem durstig. Ihr Mund fühlte sich ganz trocken an. In der Colaflasche war kein einziger Tropfen mehr.
    Ob er wohl kommen würde, um ihr etwas zu trinken zu bringen? Lou hoffte es inständig. Doch bisher hatte er sich nicht ein einziges Mal blicken lassen. Wie groß war also die Wahrscheinlichkeit, dass er kam? Eher gering.
    Wollte er etwa zusehen, wie sie langsam verdurstete?
    Sie musste hier raus. Sie brauchte den Deckel. Doch der Mistkerl würde sie nicht entkommen lassen. Wenn er beobachtete, wie sie die Platte abschraubte, würde er etwas unternehmen, um das zu verhindern. Doch dazu musste er hier leibhaftig erscheinen. Sein Plan sah aber sicher nicht vor, dass er sich zeigte und hier aufkreuzte und Lou ihn vielleicht erkannte. Er war ein Feigling. Ein jämmerlicher kleiner Feigling. Und das konnte ja nur bedeuten, dass er Angst vor ihr hatte. Angst vor einer Siebzehnjährigen. Okay. Sie würde es ihm zeigen. Alles, was er ab jetzt von ihr zu sehen bekam, würde das Gegenteil von Angst und Verzweiflung sein. Wenn ihr zum Heulen zumute war, konnte sie sich in den toten Winkel auf der Matratze zurückziehen. Er würde von nun an nur noch eine Lou zu sehen bekommen, die etwas unternahm, um hier herauszukommen. Vielleicht zwang sie ihn ja dadurch hinter der Kamera hervor und hinunter in dieses Loch.
    Guter Plan. Sie würde jetzt versuchen, irgendwie an diesen Deckel zu gelangen, denn ohne den hatte sie keine Chance. Lou kletterte wieder einmal über die Mauer und ging auf der anderen Seite langsam in die Hocke. Dabei vermied sie es, nach oben zu sehen. Zu diesem Reptilienauge im Rauchmelder. Ihre Schultern und das Becken klemmten zwischen Öltanks und Wand. Rauer Verputz schürfte ihre Haut auf. Vorsichtig kniete sie sich hin, streckte den rechten Arm seitlich aus, so gut das eben ging, und begann, mit der Hand den Raum zwischen den Tanks abzutasten. Beinahe sofort stießen ihre Finger auf Glasscherben. Sie zog sie hervor und schob sie zu einem Häufchen zusammen. Vielleicht konnte sie die ja noch gebrauchen. Langsam quetschte sie sich weiter in den Spalt hinein, schob Arm und Fingerspitzen vor, fand noch eine Glasscherbe und dann nichts mehr. Sosehr sie auch suchte, der Flaschenhals mit dem Deckel musste woanders liegen. Sie quetschte sich weiter bis zur nächsten Ritze zwischen zwei Öltanks und ließ die Finger über den Boden gleiten, bis sie etwas Kühles und Glattes fühlte. Ein Stück Metall? Um es näher zu ziehen, presste sie die Finger darauf. Ein stechender Schmerz. Rasch zog sie die Hand zurück. Sie war schwarz vor Schmutz. Aus einer Wunde am Mittelfinger quoll dickes dunkles Blut. Verdammt, sie würde sich eine Blutvergiftung holen. Spucke desinfiziert. Wer hatte das mal zu ihr gesagt? Egal. Hoffentlich stimmte es. Lou schob den Finger in den Mund. Saugte an der Wunde. Es schmeckte metallisch und modrig. Sie spuckte Blut und Dreck aus und presste den blutenden Finger gegen die Shorts. Hoffentlich hörte das bald auf.
    Mam. Mam hatte das gesagt. Das mit der Spucke. Plötzlich hatte sie wieder einen Klumpen im Hals. Mam. Und Pa. Sie hätte jetzt weiß Gott was gegeben, bei ihnen in Straubing zu sein.
    Sie fasste sich und sammelte ihre Kräfte. Sie durfte nicht aufgeben!
    Was hatte sich in ihren Finger gebohrt? Es hatte sich wie Metall angefühlt. Als die Wunde nicht mehr blutete, tastete sie erneut unter den Tank und zog ein Stück Blech hervor. Es war stumpf vor Schmutz, schmal wie ein Band und etwa zehn Zentimeter lang. Das eine Ende sah aus, als habe dort jemand mit einer Blechschere einen Bogen ausgeschnitten. Die Kante war wellig und schrundig. Daran hatte sie sich also geschnitten. Vermutlich war das ein Stück Abfall, das dort lag, seit die Tanks eingebaut worden waren. Glück gehabt! Ob es wohl in den Schraubenschlitz passte? Lou betrachtete es kritisch. Könnte hinhauen. Mit einem Mal waren Frust und Trübsal wie weggeblasen. Sie kam auf die Beine, zwängte sich wieder durch den Spalt, ohne auf Spinnen oder Spinnweben zu achten. Die

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