Dein Blick so kalt
war. Hinter der netten und freundlichen Fassade steckte ein anderer. Einer, der Mädchen entführte und tötete, ohne jedes Mitgefühl. Einer, den Lysander bisher nicht kannte und den er auch nicht kennenlernen wollte.
»Bist du so weit?«
Er atmete durch und versuchte, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. »In Ordnung.«
»Gut, dann packen wir es.«
Sie verließen den Überwachungsraum und gingen nach nebenan. »Herr Bergmair, Besuch für Sie.« Mertens gab den Polizisten mit einem Zeichen zu verstehen, dass sie gehen sollten. Onkel Achim hob müde den Kopf. Auch ihm sah man die Strapaze der durchgemachten Nacht an. Er wirkte kleiner als sonst, wie eingesunken. Von seiner eleganten Erscheinung war nicht viel übrig. Bartstoppeln sprossen auf seinen Wangen, die Haare lagen wirr um seinen Schädel, tiefe Furchen um Mund und Nase machten sein Alter deutlich. Er sah nicht gefährlich aus, eher mitleiderregend. »Lysander.« Es klang überrascht.
»Hallo Herr Bergmair.« Lysander zog den Stuhl heran und setzte sich. »Wie geht es Ihnen?«
Ein angespanntes Lächeln erschien auf Onkel Achims Gesicht, während Mertens sich verzog und die Tür hinter sich schloss. »Nicht so gut. Richtig kafkaesk, genauer gesagt. Diese Hohlköpfe denken wirklich, ich hätte ein Mädchen ermordet und außerdem Lou entführt. Meine eigene Nichte. Das ist doch total absurd.«
»Wegen ihr bin ich hier. Ich habe Angst, dass…«
Achims Kopf schnellte hoch. Er sah Lysander direkt in die Augen. »Ich auch. Ich habe auch Angst um sie. Das musst du mir glauben.«
»Sie wissen, wo sie ist, oder?«
Sein Blick hielt stand, wurde plötzlich wach und klar. Er atmete durch und betonte jede Silbe, die er sagte. »Nein. Ich weiß es nicht. Ich mache mir genau dieselben Sorgen wie du.«
Glaube ihm nicht. Lass dich nicht aus dem Konzept bringen, dachte Lysander. Führe ihm vor Augen, was geschehen wird, wenn er nicht sagt, wo sie ist. »Wenn sie nichts zu trinken hat… sie wird verdursten. Das geht wahnsinnig schnell.« Die aufsteigende Angst unterdrückte er. Wenn er sie zuließ, würde er durchdrehen.
»Ich weiß. Ich bin schließlich Arzt. Diese Idioten sollten nach ihr suchen, statt sich in mich zu verbeißen. Ich war es nicht. Ich habe mit alldem nichts zu tun. Die Polizei vergeudet wertvolle Zeit.«
Lügner! Infamer, dreckiger Lügner! Du vergeudest hier wertvolle Zeit und führst uns alle an der Nase rum. All den Zorn schluckte Lysander hinunter. Zorn half nicht. »Bitte, Herr Bergmair, sagen Sie mir, wo Lou ist.« Lysanders Tonfall wurde immer flehender.
»Wenn ich es wüsste, hätte ich es längst gesagt. Meinst du, ich will, dass Lou leidet, dass sie vielleicht stirbt. Ich habe schließlich gelesen, was dieser Kerl mit dem Mädchen gemacht hat.«
Okay. Wenn bitten nicht half, dann vielleicht Argumente. »Die Fotos, die Lou gemailt bekommen hat, die haben schließlich Sie gemacht.«
Bergmair schüttelte den Kopf. Müde. Resigniert. »Nein. Habe ich nicht.«
»Wieso hat die Kripo sie dann auf ihrem PC gefunden?«
»Ich habe keine Ahnung, wie sie dahin gekommen sind. Und ich verstehe auch nicht, wie diese angebliche Zeugin behaupten kann, mich vor der Hotelbar gesehen zu haben. Ich war nie dort. Hast du Russo gesagt, was du gehört hast, als sie telefoniert hat?«
Lysander kochte innerlich, versuchte, das aber nicht zu zeigen. »Habe ich. Ja. Aber die Rechnung aus der Bar war in Ihrer Wohnung.«
»Was?«
Diese Fassungslosigkeit. Das war nicht gespielt. Plötzlich hatte Lysander Zweifel. Die Wut fiel in sich zusammen. Verunsicherung machte sich breit. Wem sollte er glauben? Russo oder Onkel Achim, der ihm völlig ratlos gegenübersaß.
»Wie kommt diese Quittung dorthin? Das gibt es nicht. Das ist ein abgekartetes Spiel. Jemand will mich fertigmachen.« Hilflos breitete er seine Arme aus. Erstaunen, Überraschung und Verzweiflung standen ihm ins Gesicht geschrieben. Er musste schon ein verdammt guter Schauspieler sein, wenn er log.
Was, wenn er die Wahrheit sagte? Dann konnte er logischerweise auch nicht wissen, wo Lou war. Und dann? Wie sollten sie Lou finden?
»Ihr Fotoapparat. Was für eine Marke ist das?«
»Eine Nikon.« Die Antwort kam, ohne zu zögern.
»Und die Canon?«
»Welche Canon? Ich habe keine… oder willst du etwa sagen, dass man eine solche Kamera bei mir gefunden hat? Wenn ja, dann gehört sie mir nicht. Jemand schiebt mir all diese Beweise unter.«
Die Zweifel an Onkel Achims Schuld vergrößerten
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