Dein Blick so kalt
Angst und Fragen erneut in ihm los. Wo Lou jetzt wohl war? Wie ging es ihr? In Gedanken sandte er ihr einen Kuss. Halte durch. Wir werden dich finden, wo immer du auch bist.
Meo schlief noch. Am liebsten hätte Lysander ihn geweckt. Er wollte wissen, was inzwischen passiert war.
Irgendwann klang das Fiepen des Weckers aus Meos Zimmer. Kurz darauf erschien er in der Küche. Die Haare verstrubbelt. Ringe unter den Augen. Er sah käsig und übernächtigt aus. Doch Lysander überfiel ihn gleich mit seinen Fragen.
»Was gibt es Neues? Hat Onkel Achim wirklich Daniela umgebracht?«
»Erst mal einen Schluck Kaffee, ja?« Meo schenkte sich eine Tasse voll und setzte sich. Nachdem er sie halb geleert hatte, sah er etwas wacher aus und erstattete Lysander Bericht. »Ich bin erst nachts um halb drei heimgekommen. Für Onkel Achim sieht es nicht gut aus. Auf seinem Rechner sind Fotos von Daniela und Lou.«
Okay. Also doch. Endlich ging was voran. Endlich hatte er Gewissheit. Onkel Achim also.
»Die Ermittlungen sind zusammengelegt worden und die Soko erweitert. Unsere gesamte Arbeit fokussiert sich jetzt darauf, Lou zu finden. Wobei ich davon ausgehe, dass Onkel Achim sagen wird, wohin er sie gebracht hat. Der Haftbefehl gegen ihn ist gestern Nacht noch erlassen worden. Sie haben ihn schon in der Mangel.«
Lysander wollte das nicht denken. Er wollte es sich nicht vorstellen und dennoch brachen die Worte aus ihm heraus. »Und wenn er Lou auch umgebracht hat…«
Schlürfend trank Meo einen weiteren Schluck Kaffee und schüttelte dann den Kopf. »Glaube ich nicht. Sieh dir die Fakten an. Daniela hat er wochenlang gefangen gehalten, bevor er sie vergiftet hat. Lou ist erst seit etwa sechzig Stunden in seiner Gewalt. Sie lebt also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Davon gehen wir aus. Und er wird uns sagen, wo sie ist. Vielleicht wissen Russo und Mertens es schon. Am besten, du kommst mit ins Präsidium und hörst es aus ihrem Mund.«
Erleichterung erfasste Lysander. Meo hatte recht. Lou war erst seit drei Nächten in Onkel Achims Gewalt und Daniela hatte er viel länger gefangen gehalten, bevor er sie getötet hatte. In Onkel Achims Gewalt? Etwas sperrte sich in Lysander, das zu glauben. War Lous Onkel wirklich ein Mörder? Doch die Beweise waren eindeutig. Er hatte diese Fotos von Lou gemacht. Er hatte die Kameras installiert und sie überwacht. Er hatte sie sich geschnappt. Und sicher hatte er auch einen Schlüssel zur Wohnung gehabt. Schließlich gehörte sie seiner Exfrau. So eine miese Ratte!
»Ja. Klar. Ich komme mit.« Die Aussicht, bald zu wissen, wo Lou war, dass es ihr gut ging, vertrieb die Müdigkeit ebenso wie seine schwarzen Gedanken.
Kurz nach acht folgte Lysander Meo über den bereits vertrauten Flur im Polizeipräsidium. »Warte einen Augenblick hier. Ich sehe erst mal nach, wie weit sie sind.« Meo wies auf die Bank, auf der Lysander schon gestern gewartet hatte, klopfte an Russos Tür, öffnete diese, als er nichts hörte und sah hinein. Kopfschüttelnd wandte er sich um. »Die Vernehmung läuft anscheinend noch. Wir gehen in den zweiten Stock. Dort sind die Vernehmungsräume.«
Durchs Treppenhaus ging es eine Etage tiefer. Im Gebäude herrschte angenehme Kühle. Vor einem Kaffeeautomaten stand eine Frau und zog einen Becher Cappuccino. Ein Mann im grauen Anzug und mit Aktentasche unterm Arm redete in einer Fensternische eindringlich auf einen Kerl ein, der wie ein Penner aussah und auch so roch. Dieser Geruch verfolgte Lysander noch bis zu dem Vernehmungszimmer, dessen Türen sich öffneten, als sie dort ankamen. Russo trat heraus. Aschgraue Haut, Ringe unter den Augen. Seine Schultern hingen. Der Anzug war zerknautscht, als hätte er darin geschlafen. Der Mann sah total fertig aus. »Bist du noch da oder schon wieder?«, fragte er Meo.
»Ich habe mal drei Stunden Schlaf gebraucht. Könnte dir auch nicht schaden.«
»Ist nicht drin. Das ist ein sturer Hund, dieser Herr Doktor. Ich brauch jetzt Koffein intravenös und dann machen wir weiter.«
»Er hat noch nicht gestanden?« Meo klang echt überrascht. »Bei der Beweislage?«
Russo zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen.
»Manche sind halt so. Die muss man knacken. Die leugnen das vor sich selbst. Wollen keine Mörder sein. Daher muss man sie erst einmal behutsam dahin bringen, sich das selbst einzugestehen, und sie mit ihren eigenen Taten vertraut machen. Aber bei ihm sind wir die ganze Nacht keinen Schritt
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