Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)
unwillkürlich dasselbe. Aber ich sah nichts als die Hunde, die jaulend an ihren Pfosten zerrten.
Wir drei standen da und sahen zu, wie das Boot die Isbjørn erreichte. Wir sahen die Männer an Bord klettern. Wir hörten den Motor tuckern, als das Schiff Geschwindigkeit aufnahm. Inzwischen war die Sonne nur noch ein karmesinroter Strich am Horizont.
Unversehens schlug Algie sich an die Stirn, machte kehrt und rannte den Strand hinauf. Als er beim Bärenpfosten anlangte, hisste er die «Fahne», die er beinahe vergessen hätte: einen toten Eissturmvogel, den er am Morgen geschossen hatte. Er hängte ihn an einem Flügel auf, der Wind fing sich darin und ließ ihn flattern, eine Parodie vom Fliegen. Draußen in der Bucht senkte die Isbjørn zur Antwort ihre Flagge.
Als der ersterbende Sonnenglanz die See bronzen färbte, sahen wir zu, wie das Schiff hinter der Landzunge verschwand.
«Da waren’s nur noch drei», sagte Algie.
Gus erwiderte nichts. Ich unterdrückte meine Verärgerung.
«Bleibt hier», befahl Algie. Er lief in die Hütte und kam gleich darauf mit seiner Picknick-Garnitur zurück: zwei Kristallflaschen mit Whisky und Wasser und drei Nickelbecher in einem Lederkoffer. Außerdem brachte er ein geheimnisvolles, mit Sackleinen umwickeltes Päckchen mit; dieses entpuppte sich als ein Eisklumpen, den er tags zuvor von dem Gletscher geschlagen hatte.
«Zum ersten Mal seit Wochen», sagte er keuchend, «geht ein Tag wirklich und wahrhaftig zu Ende.»
Er hatte recht. Die Sonne war verschwunden. Graue Wolkenbänke wälzten sich heran und löschten ihren Nachglanz.
Ich wandte mich den anderen zu, und wir tranken, um die Nacht zu begrüßen.
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7
28. August
Ich war zuvor wohl ein wenig gereizt, aber das ist jetzt vorbei. Ein paar Wochen harte Routinearbeit haben mich wieder ins Lot gebracht.
Halb sieben aufstehen, vor dem Ofen anziehen. Wer Hundedienst hat, lässt die Hunde heraus, wer Küchendienst hat, kocht Kaffee. Ablesedienst heißt rausstapfen zur Wetterhütte (die wie ein Bienenstock auf Beinen aussieht, mit geneigtem Dach, um die selbstschreibenden Instrumente zu schützen). Um sieben Uhr werden die Tafeln abgelesen, danach werden Windmesser und Wetterfahne überprüft sowie Schneefall und Reif (an einer kleinen Messingkugel, ähnlich der eines Alchemisten).
Um halb acht bin ich an dem Fahrradgenerator und funke die Ableseergebnisse an die Regierungsstation auf der Bäreninsel, von wo sie an das Vorhersagesystem in England weitergeleitet werden. Frühstück gibt’s um acht: von «Mrs. Balfour» gebackenes Brot mit Eiern und Speck oder Haferbrei. Mittags erfolgt die zweite Ablesung und Übermittlung, und dann dasselbe noch einmal um fünf. Die Hunde werden um sechs gefüttert. In der Zeit dazwischen stehen Jagen und Treibholzsammeln auf dem Plan; Algie ist (zu meiner Erleichterung) unterwegs, um seine geologischen Untersuchungen durchzuführen, und ich steige mit Gus ins Boot und helfe ihm, mit Netzen Plankton und kleine Schwimmschnecken zu fischen.
Einmal in der Woche bringe ich den Motor in Gang, und wir nehmen Kontakt mit England auf, schicken Nachrichten an Angehörige und Freunde und Berichte an die Times und an unsere Förderer. Diese Berichte schreibt Gus: wortreiche Aufsätze über die wildlebenden Tiere und die Hunde. England kommt uns von Mal zu Mal ferner vor, und es fällt ihm immer schwerer, sich auszudenken, was er schreiben soll.
Das Wetter wechselt erschreckend schnell. Vor zwei Wochen hat der Frost die Zwergweiden auf den Hängen scharlachrot gefärbt wie Blutspritzer. Zehn Tage später haben wir das Fenster der Schlafkammer einen Spalt offen gelassen, und als wir aufwachten, war alles voll Nebel. Gestern Abend hatten wir den ersten Schneefall. Wir standen da wie Schuljungen, die Gesichter zu den rasch fallenden Flocken emporgerichtet. Jetzt ist Gruhuken in Weiß gehüllt. Sogar die Hundehütte strahlt Reinheit und Anmut aus. Der Schnee hat das Lagergefühl verändert. Schnee dämpft alles außer Schritte. Daran muss man sich erst mal gewöhnen.
Die Nächte werden mit erschreckender Schnelligkeit länger: jeden Tag um zwanzig Minuten.
Was sage ich da, erschreckend? Ich finde es schön. Ich habe mich unterdessen daran gewöhnt, mit den anderen auf engem Raum zu leben, und genieße die langen Abende in der Hütte. Gus arbeitet am Mikroskop, ruft mich zu sich, damit ich mir ein neues Naturwunder ansehe, und zieht mich dann auf, wenn ich vorgebe, nichts zu
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