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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Wundstarrkrampf bekam, darum habe ich ihn losgemacht und zur Hütte gezogen, um ihn zu verarzten. Auf halbem Weg wurde mir klar, ich hätte das Desinfektionsmittel holen und ihn draußen angebunden lassen sollen. Er schien dasselbe zu denken; denn er sah mich zweifelnd an.
    Der Trick beim Umgang mit einem Husky ist, ihn am Geschirr zu packen und halb anzuheben, sodass seine Vorderpfoten den Boden nicht berühren; auf diese Weise kann er nicht mit einem durchgehen. So lautet zumindest die Theorie; ich hatte es bis jetzt nie ausprobiert. Ich hob Isaak, wie ich hoffte, auf die gängige Art halb hoch, zerrte ihn durch die Eingangstüre, griff mir eine Flasche Desinfektionsmittel von einem Bord im Flur und zerrte ihn wieder nach draußen. Als ich ihn sicher wieder angebunden hatte, war ich schweißgebadet. Huskys sind nicht groß, aber bei Gott, sie sind stark.
    «Braver Kerl, braver Husky» murmelnd, bespritzte ich ihn mit dem Desinfektionsmittel. Er knurrte nicht mal. Ich glaube, er war zu überrascht. Als es vorbei war, war ich so erleichtert, dass ich ihm zur Belohnung noch eine Dose Pemmikan gab.
    Gus und Algie kamen zurück, und ich erzählte ihnen, was passiert war. Algie schnaubte und sagte, ich dürfe nicht einen Hund den anderen vorziehen. Gus hat nur gegrinst. Ich sagte, dass es da nichts zu grinsen gebe, dass dies der dümmste Hund sei, den ich je gesehen habe, man denke bloß, er ist gleich zweimal mit dem Kopf in einer Konservenbüchse stecken geblieben.
    Gus brach in Lachen aus. «Dumm? Jack, er hat zwei Büchsen Pemmikan von dir gekriegt!»
    Seitdem hält Isaak Ausschau nach mir. Wenn ich zufällig zu ihm hinübersehe, wedelt er mit dem Schwanz und stößt krächzende Freudenlaute aus. Und als ich heute Nachmittag eine Zigarette rauchte, ist er gekommen und hat sich an mein Bein geschmiegt.
    15. September
    Die Vögel ziehen fort, und die Nächte werden länger.
    Es ist dunkel, wenn wir aufwachen, und dunkel, wenn wir zu Abend essen. Wenn ich draußen vom Plankenweg aus nach drinnen schaue, leuchten die Fenster in einem anheimelnden orangefarbenen Schein, und der Hauptraum ist erhellt wie eine Bühne. Aber wenn ich an der Wetterhütte bin, ragen die Berge drohend auf, und ich habe das Gefühl, dass das Dunkel darauf lauert, sich das Land einzuverleiben. Dann möchte ich wieder hineingehen und die Vorhänge zuziehen, um die Nacht auszuschließen. Nur kann ich es nicht, weil wir keine haben.
    In einer von meinen Zeitschriften steht ein Aufsatz von einem, der herausgefunden hat, dass das, was wir über das Universum wissen, nur ein winziger Bruchteil dessen ist, was tatsächlich existiert. Er schreibt, das andere kann man nicht sehen oder entdecken, aber es ist da; er nennt es «dunkle Materie». Natürlich glaubt ihm niemand, aber ich finde den Gedanken verstörend. Oder vielmehr, nicht den Gedanken an sich, das ist lediglich eine eigenwillige Vorstellung vom Weltall. Was mir Unbehagen bereitet, ist das Gefühl, das mich zuweilen beschleicht, dass möglicherweise andere Dinge um uns existieren, von denen wir nichts wissen.
    In einem Monat, am 16. Oktober, werden wir zum letzten Mal die Sonne sehen. Die Bücher besagen, dass es ein paar Wochen danach noch ein bisschen Licht gibt, weil die Sonne am Mittag nicht ganz so weit unter dem Horizont ist. Man nennt das «Mittagsdämmerung». Danach: nichts.
    Aber mein Gott, die Farben, die wir jetzt sehen! Wenn es klar ist, verleiht die Dämmerung dem Himmel ein wundersames rosiges Gold. Der Schnee glitzert wie Diamanten. Die Walgerippe am Strand haben einen blendenden Glanz. Das Dach der Hütte ist weiß zugedeckt, die Wände sind mit einer Eiskruste überzogen. Nach ein paar Stunden wandelt sich das Licht, und die Bucht wird zu einer bronzefarbenen Fläche. Der Tag erstirbt in einer Flut von erstaunlichen Farben: Karmesinrot, Purpur, Violett.
    So viel Licht.
    Und jetzt das.
    Es war nach dem Abendessen, ich saß lesend und rauchend am Tisch. Algie legte eine Patience und trommelte mit den Fingern, Gus war draußen, nach den Hunden sehen. Plötzlich kam er hereingestürzt. «Jungs, nach draußen, schnell!»
    Weil wir zehn Grad minus hatten, bedeutete «schnell» fieberhaftes Anziehen von Stiefeln, Pullovern, Ölzeug, Schals und Mützen.
    Es hat sich gelohnt.
    «Das Fell der Hunde hat vor statischer Aufladung geknistert», murmelte Gus. «So bin ich darauf aufmerksam geworden.»
    Wir haben die Hälse zum Nordlicht hin gereckt.
    Fotografien werden ihm nicht gerecht. Es

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