Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)
westlich ist nichts bis nach Grönland und östlich nichts als die Arktische See, im Norden nichts bis zum Nordpol – und das ist bloß noch mehr Nichts …
Schlagartig kam mir in den Sinn, dass ich mein Gewehr vergessen hatte. Ich dachte an Bären und begab mich auf den Rückweg, verdrossen über diesen elementaren Fehler.
Ich war weiter gegangen als beabsichtigt. Unser Lager unter mir sah wie Kinderspielzeug aus, es wirkte zwergenhaft neben den prähistorischen Walknochen am Ufer. Die Isbjørn war winzig draußen in der Bucht. Der Himmel hatte sich eigenartig blassgelblich gefärbt. Die Sonne war im Sinken begriffen. In wenigen Minuten würde sie erstmals in der See verschwinden.
In der Bucht blinkte ein Ruder. Ein Boot brachte eine Gruppe Männer zum Schiff. Ich musste mich beeilen, wollte ich nicht versäumen, Mr. Eriksson Lebewohl zu sagen.
Die Dämmerung setzte ein, während ich über die Steine kletterte. Der Wind erstarb zu einem Wispern. Ich hörte das Knistern von meinem Anorak, meinen schweren Atem.
Als ich noch fünfhundert Meter oberhalb des Lagers war, sah ich vor der Hütte einen Mann bei dem Bärenpfosten stehen. Er kehrte mir den Rücken zu, doch ich konnte erkennen, dass es nicht Algie oder Gus war. Es musste jemand von der Mannschaft sein, der einen letzten Blick auf die Hütte warf, bei deren Errichtung er mitgeholfen hatte.
Obwohl mir die Sonne ins Gesicht schien, konnte ich feststellen, dass er nicht wie ein Seemann gekleidet war. Statt einer Arbeitsmontur trug er einen zerlumpten Schafsfellmantel, eine runde Kappe und schäbige Stiefel.
Ich rief ihm zu: «He, du da! Mach lieber, dass du zu den Booten kommst, sonst bleibst du zurück!»
Er drehte sich zu mir um, eine dunkle Gestalt vor dem blendenden Licht. Flüchtig sah ich, dass er die Hände an den Seiten hielt und eine Schulter höher als die andere war. Die Neigung seines Kopfes hatte etwas, das mir gar nicht gefallen wollte.
Er machte keinen angenehmen Eindruck. Er machte vielmehr einen un angenehmen. Ich wollte, dass er von unserem Lager verschwand und sich aufs Schiff begab. Und gegen alle Vernunft wünschte ich, ich hätte ihn nicht durch mein Rufen auf mich aufmerksam gemacht.
Ich kam mir närrisch vor und setzte meinen Weg den Hang hinunter fort. Ich musste aufpassen, wo ich hintrat. Ich sah noch einmal auf, und da war der Mann zu meiner Erleichterung verschwunden.
Als ich nach einer Weile zum Ufer kam, wartete Mr. Eriksson mit den Letzten seiner Mannschaft, um Lebewohl zu sagen. Von Algie oder Gus war nichts zu sehen, die Männer wirkten nervös und blickten über die Schulter auf die schwindende Sonne.
Ich sah niemanden in einem Schafsfellmantel, deswegen sprach ich Mr. Eriksson auf den Nachzügler an. Er bedachte mich mit einem scharfen Blick, sah dann wieder zu seinen Männern. Er zog mich am Arm beiseite. «Sie irren sich», sagte er leise. «Da war niemand an der Hütte.»
Ich schnaubte. «Aber er war da, ganz sicher. Nun gut, er ist offensichtlich in dem anderen Boot mitgefahren.»
Finsteren Blickes schüttelte Eriksson den Kopf. Mir schien, er dachte, dass ich einen seiner Männer verdächtigte, absichtlich zu trödeln, um uns zu beklauen, deshalb sagte ich rasch: «Ist ja auch egal, ich habe es nur erwähnt, damit er nicht zurückgelassen wird.» Ich lachte verlegen. «Wir sind schließlich nicht erpicht auf einen ungebetenen Gast als vierten Mann in unserer Hütte.»
Das gefiel Eriksson anscheinend nicht. Er fragte barsch, ob ich mit dem Mann gesprochen habe. Ich verneinte, außer dass ich ihn bedrängt hatte, sich schleunigst zu seinen Kameraden zu begeben – was offensichtlich geschehen war.
Der Norweger machte den Mund auf, um etwas zu erwidern, aber just da kamen Gus und Algie mit unserem Abschiedsgeschenk herbeigelaufen – Rotwein und Zigarren –, und damit war seine Chance verpasst. Algie und Gus hielten verlegen kleine Dankesreden, Eriksson errötete und dankte ihnen seinerseits. Sein Gehabe war gezwungen. Ich glaube nicht, dass es ihnen aufgefallen ist.
Als ich an der Reihe war, nahm er meine Hand und drückte sie mit seinem Bärengriff. «Einen guten Winter, Professor», sagte er und sah mich mit seinen grauen Augen fest an. In dem Moment konnte ich seine Miene nicht deuten. Aber jetzt frage ich mich, ob es Mitleid war.
Dann war er im Boot, und seine Männer stießen ab. Als es auf den Wellen schaukelte, blickte er zurück – nicht auf uns, sondern an uns vorbei auf die Hütte. Ich tat
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