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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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begreifen. Algie reinigt Gewehre und etikettiert Fossilien. (Er ist und bleibt eine Plage, doch Gus hat die Bäder untersagt, mit der Begründung, dass sie zu viel Unordnung machen; und da es nun kälter wird, ist nicht einmal Algie versessen auf ein Wannenbad.) Wir rauchen und hören Radio. Und ich mache mich mit den neuesten Wahnsinnstheorien in Physik vertraut. Bevor ich aus London abgereist bin, hat mein alter Professor mir einen Stapel Zeitschriften geschickt. Wenn ich sie lese, erfasst mich eine plötzliche Aufregung. Ich erinnere mich, wie ich mich einst gefühlt habe. Wie ich einst geträumt habe.
    Daran denke ich, wenn ich an meinem Funkpult arbeite. Zuweilen werfe ich einen Blick auf mein Spiegelbild im Fenster. Ich erkenne mich kaum wieder. Meine Haare sind länger, der Bart lässt mich jünger aussehen, hoffnungsvoller. Ich bin hoffnungsvoll. Vielleicht hat Gus nicht so unrecht. Vielleicht habe ich meine Chance nicht verpasst.
    In der Funk-Ecke ist es so kalt, dass ich einen zusätzlichen Pullover überziehen muss. Und zeitweise ist da ein schwacher, unangenehmer Geruch nach Seetang. Ich habe alles mit Lysol gewaschen, aber er ist trotzdem noch da. Ich glaube nicht, dass es den anderen aufgefallen ist.
    Doch Gruhuken gefällt mir nach wie vor. Es ist meilenweit entfernt von der schäbigen Vornehmheit Tootings, von der Sorge, ob man den Kragen einen weiteren Tag tragen kann. Meine arme Mutter hat für all das gelebt. Ich erinnere mich, wie sie in unserem Haus in Bexhill «die Treppen gemacht» hat. Sie hatte ein Mädchen fürs Gröbste, aber die Treppe war ihr Bereich. Den Stufen an der Türe rückte sie mit weißem Scheuerstein zu Leibe, denen am Tor mit grauem. Wenn ich jetzt daran denke, zerreißt es mir das Herz. Dass jemand sein Leben damit verbringt, Steine aufzufrischen.
    Gus fühlt sich hier auch wohl, weil es kein Personal gibt; er sagt, zum ersten Mal in seinem Leben ist es ihm gestattet, eigenhändig sein Bett zu machen. Bei Algie weiß ich es nicht so recht. Er verlangt, dass das Radio oder das Grammophon die ganze Zeit läuft, und eben hat er sich darauf verlegt, durch die Zähne zu pfeifen. Manchmal denke ich, er kann nicht einen Moment Stille ertragen. Vor was versucht er davonzulaufen?
    Seit ein paar Tagen sammeln sich große Vogelscharen in der Bucht. Gus sagt, sie machen sich zum Abflug bereit.
    30. August
    Gus hatte recht, die Hunde haben mich schließlich erobert. Das heißt, einem ist es gelungen.
    Bis zu diesem Nachmittag war ich immerhin so weit fortgeschritten, dass ich mir ihre Namen merken konnte. Die rotbraune Hündin Upik und ihr Gefährte Svarten sind die Rudelführer. Eli, Kiawak, Pakomi und Jens sind ihre Nachkommen; und Isaak und Anadark sind die Junghunde, erst ein Jahr alt, sehen aber wie ausgewachsene Wölfe aus. Isaak ist derjenige, der in Tromsø ins Hafenbecken gefallen ist.
    Gestern waren Gus und Algie jagen, und ich las in der Hütte, als draußen ein Mordsspektakel losging. Ich dachte sogleich an Bären, zog meine Sachen über, schnappte mein Gewehr und stürmte zur Türe hinaus.
    Gottlob, keine Bären. Die Hunde haben gebellt und an ihren Pfosten gezerrt, um zu Isaak, dem Junghund, zu gelangen. Er war irgendwie an eine Büchse Pemmikan geraten, hatte sich durchgenagt und war mit der Schnauze darin stecken geblieben. Nun stolperte er blind umher und stieß mit dem behelmten Kopf scheppernd gegen Felsen.
    Als er mich kommen hörte, hielt er ein. Ich überlegte nicht lange, sondern rannte hin, klemmte meine Knie um seine Mitte, wie Gus und Algie es machen, wenn sie ihnen das Geschirr anlegen. Isaak wand sich, konnte sich jedoch nicht befreien, und da habe ich ihm die Büchse vom Kopf gerissen.
    Gott, er war fix. Er sprang auf und verpasste mir einen Kopfstoß, der mich umwarf, sodass mir die Büchse entglitt. Er stürzte sich darauf – und sein Kopf blieb wieder darin stecken.
    «Böser Hund! Böser Hund!», schrie ich dämlich, während ich mich hochrappelte. Dann ging die ganze Prozedur von vorne los – nur dass ich diesmal aus dem Weg sprang, als ich seinen Kopf von der Büchse befreit hatte. Ich war so zufrieden mit mir, dass ich ihm den Pemmikan in den Schnee kippte. Er verschlang ihn mit einem Bissen, dann stand er schwanzwedelnd da, die eisblauen Augen leuchteten aufrührerisch. Noch mal!
    Verdammt, verdammt, verdammt. Er hatte sich an der Büchse ein Ohr aufgerissen. Nach dem, was ich soeben mit ihm erlebt hatte, wollte ich nicht, dass er einen

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