Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)
nicht sonderlich zugetan. Ich bin überzeugt, dass sie das spürt.»
Er blickte so niedergeschlagen drein, dass ich lachen musste. «Gib es auf, Gus! Du machst nie einen Hundefreund aus mir.»
Im Moment höre ich sie hinter meiner Koje jaulen und an der Wand scharren. Zu meiner eigenen Verwunderung stört der Lärm mich nicht. Im Gegenteil, er behagt mir. Es ist beruhigend, dass unmittelbar hinter meinem Kopf auf der anderen Seite der Wand Lebewesen sind. Und seien es Hunde.
16. August. Mitternacht. Erstes Dunkel.
Die Isbjørn ist endgültig abgefahren, wir sind alleine.
Meine Lampe wirft einen kleinen gelben Lichtkegel, dahinter liegt alles im Schatten. Soeben bin ich ans Nordfenster gegangen. Ich habe die goldene Spiegelung der Lampe in den Scheiben gesehen, die dunkelblau und mit Eisblumen verziert sind. Als ich die Hände am Glas wölbte und hinausspähte, sah ich Sterne am indigoblauen Himmel und den grauschwarzen Bärenpfosten.
Nichts ist ungewöhnlich, aber ich möchte festhalten, was heute Nachmittag geschehen ist. Um mir darüber klarzuwerden.
Gegen Mittag sind einige Leute von der Mannschaft an Land gerudert, und wir haben ihnen einen Kasten Bier als Dankeschön geschenkt. Sie haben schwer gearbeitet, wenn auch nur, weil sie unbedingt fortwollten, um vor Wintereinbruch noch ein paar Wochen auf Robbenjagd zu gehen.
Dann haben wir mit Mr. Eriksson zu Mittag gegessen. In der Annahme, dass er eine Abwechslung von der Schiffsverpflegung begrüßen würde, haben wir ihm konservierte Ochsenbacken und Gemüsecurry mit Bengal Chutney aufgetischt, zum Dessert gab es kalifornische Birnen und Ananas aus Singapur, danach Schokolade und Kaffee. Er hat es ungemein genossen, auch wenn er anfangs durch das Royal-Doulton-Porzellan eingeschüchtert zu sein schien. Dann aber hat Gus zwei Flaschen Rotwein entkorkt und eine Kiste Zigarren aufgemacht, und da wurde Eriksson ganz vergnügt. Er erklärte uns, wie man Blutpfannkuchen macht, die Spezialität der Pelztierjäger, und gab uns Ratschläge für das Überstehen der Dunkelzeit.
«Man muss sich täglich an der frischen Luft bewegen. Einen bestimmten Ablauf einhalten. Nicht zu viel denken !» Er fügte hinzu, falls wir in «Schwierigkeiten» geraten sollten, ein Freund von ihm, ein erfahrener Pelztierjäger namens Nils Bjørvik, überwintere circa dreißig Kilometer westlich am Wijdefjord. Es war ihm sehr wichtig, uns das wissenzulassen.
Dann überraschte er uns mit drei Gläsern eingelegten Moltebeeren, die, so sagte er, das beste Abwehrmittel gegen Skorbut seien. (Er spottet, wenn wir Vitamin C erwähnen, und hält unsere Redoxon-Tabletten für Geldverschwendung.) Ich war gerührt. Ich glaube, die anderen waren es auch.
Nach dem Mittagessen hatte die Mannschaft noch ein paar Stunden zu arbeiten, um unsere deutschen Klepper-Kanus zu montieren. Gus ist mit Eriksson zum Strand hinuntergegangen, um zu fotografieren, Algie hat das Essgeschirr abgespült, da er diesmal an der Reihe war. Um meinen Kopf vom Zigarrenqualm zu befreien, machte ich einen Spaziergang.
Ich ging bachaufwärts an den Minenruinen vorbei. Anfangs war der Boden ein weicher Teppich aus Zwergweiden und Moos. Ich ging schnell und kam bald ins Schwitzen. Daran muss ich mich noch gewöhnen, dass man abschätzen muss, wie viele Schichten man anzieht. Mr. Eriksson hat uns ein norwegisches Sprichwort genannt: Wenn einem beim Aufbruch warm genug ist, ist man zu dick angezogen.
Je höher ich stieg, desto beschwerlicher wurde das Gehen. Ich stolperte über Geröll und schwarze Flechten. Es ging ein scharfer Wind, und ich fröstelte bald. Der Gletscher war von Wolken verdeckt, doch ich spürte seinen eisigen Atem. Als ich die Mütze abnahm, tat mir binnen Sekunden der Schädel weh.
Jenseits von dem Brausen des Windes und dem Plätschern des Baches lag das Land still da. Ich kam an einem Rentiergerippe vorbei, gelangte zu einem aufrechten Stein an einem kleinen, kalten See. Ich blieb stehen. Die Geräusche ringsum – Wind, Wasser, mein keuchender Atem – waren mir bewusst, aber irgendwie verstärkten sie die Stille nur noch. Ich empfand sie als eine körperliche Anwesenheit. Unendlich. Überwältigend. Mir wurde klar, dass dieser Ort Niemandsland ist und immer bleiben wird.
Ich nehme an, es ist zu erwarten, dass Gruhuken mir von Zeit zu Zeit ein wenig Unbehagen bereitet. Ich bin schließlich in der Stadt aufgewachsen und nicht an die Wildnis gewöhnt. Trotzdem. Dort an dem Hang zu stehen und zu wissen,
Weitere Kostenlose Bücher