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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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es nie. Einsam? Ich befand mich inmitten von Millionen von Menschen! Hier habe ich niemanden. Ich bin das einzige menschliche Wesen in –
    Lass das sein, Jack! Das führt zu rein gar nichts!
    Später
    Nachricht von Algie. GUS WOHLAUF ABER DOC MEINT KÖNNEN FRÜHESTENS IN ZWEI WOCHEN KOMMEN STOP TUT MIR LEID ALTER KNABE STOP
    Zwei Wochen?
    Ich bin in der Hütte auf und ab gelaufen und habe versucht, das zu begreifen. Ich habe bereits eine Woche allein hinter mir. Es fühlt sich wie ein Monat an. Wie soll ich zwei weitere Wochen ertragen? Und wieso hat er «frühestens» gesagt? Was meint er damit?
    Zwei Wochen. Das bedeutet Mitte November. Himmel! Wird die See dann noch eisfrei sein? Werden sie durchkommen?
    Whisky. In rauen Mengen. Whisky lautet das Zauberwort.
    30. Oktober
    Ich habe das Kapitel über Folklore gelesen. Ich wünschte, ich hätte es nicht getan.
    Dabei handelte das meiste davon nicht einmal von Spitzbergen, jedenfalls nicht speziell. Es war lediglich eine reichlich eintönige Aufzählung skandinavischen Aberglaubens, einiges ist mir von englischen Bräuchen her vertraut. Die Vorstellung, dass Seevögel Glück bringen, wenn man zum Fischen draußen ist. Das Verstreuen von Salz zum Schutz gegen Hexen; wann immer Mutter ein hartgekochtes Ei aß, streute sie sich eine Prise Salz über die Schulter. Das hatte ich völlig vergessen.
    Es heißt, «an einigen Orten in Spitzbergen» – es steht nicht geschrieben, welche – gehen draugar um. Ein draug ist der ruhelose Geist eines Ertrunkenen, der nahe am Ufer im Flachen lauert und darauf wartet, die Ahnungslosen ins Verderben zu zerren.
    Wenn ein Leichnam angespült wird, befindet man sich stets in einer Zwickmühle. Setzt man ihn bei, betrügt man dann die See um ihren Lohn? Tut man es nicht, wird man dann vom Draug heimgesucht?
    Mir gefällt das «wenn». Wie oft geschieht es schon, dass hier ein Leichnam angespült wird?
    Und dann noch dies: Wer die Inseln kennt, weiß, dass der Beginn der Polarnacht eine Zeit ist, die zu besonderer Vorsicht gemahnt. Manche sagen gar, sieben Wochen vor dem Julfest würden sich die Gräber Spitzbergens öffnen.
    Sieben Wochen vor Weihnachten. Das ist der 31. Oktober. Halloween.
    Na und, Jack?
    Als ich ein kleiner Junge war, schenkte mein Vater mir ein Buch mit dem Titel Nordische Volkssagen . Die meisten Geschichten handelten von Hexen und Trollen und Geistern, die am Vorabend von Allerheiligen ihr Unwesen trieben – was, wenn man es sich recht überlegt, vollkommen verständlich ist, eine natürliche Reaktion darauf, im Norden zu leben. Wer würde angesichts eines langen, dunklen Winters nicht an derartige Sachen glauben, wenn sich die ganze Welt wie tot anfühlt?
    Aber du musst dir vor Augen halten, dass an alledem nichts neu ist. Nichts, was du nicht längst schon wusstest.
    Der 31. Oktober ist morgen.

[zur Inhaltsübersicht]
    10
    31. Oktober
    Habe ich es bewirkt? Hat das, was ich gelesen habe, mich «empfänglicher» dafür gemacht? Lag es am Datum?
    In der Nacht hat es geschneit. Als ich mich auf den Weg zur Sieben-Uhr-Ablesung gemacht habe, war es wärmer, lediglich neun unter null, und, gottlob, ein klarer «Morgen». Der Mond stand als strahlende Sichel an dem von Sternen übersäten nachtblauen Himmel. Frischer Schnee hüllte das Lager in seltsam grauen Glanz, und ich konnte sehen! Ich sah die sanft gerundeten Walknochen am Strand, die Eisberge auf der See. (Die See ist zum Glück nicht gefroren; das habe ich überprüft. Ab sofort werde ich drei Mal täglich nach Eis Ausschau halten.)
    Ich schämte mich für die Feigheit, die mich in den letzten Tagen überfallen hatte. Diese jämmerlichen Runden um die Hütte, mich an den Wänden festkrallend – als wäre ich auf immer verloren, wenn ich nicht ständig Kontakt hielte. Ich darf mich von den Dingen nicht mehr so beeinflussen lassen. Nicht, wo ich noch zwei ganze Wochen vor mir habe.
    Deshalb bin ich in einer gewissen Trotzhaltung mit den Hunden auf die Hänge hinter dem Lager spaziert.
    Anfangs war es wundervoll. Die Hunde rasten kläffend und einander jagend umher. Isaak zerrte an seiner Leine – ich bringe ihm bei, mich zu begleiten –, doch ich blieb streng, und bald schon ging er fügsam bei Fuß; und das war auch gut so, trug ich doch Schneeschuhe, einen Skistock in jeder Hand und ein Gewehr über der Schulter.
    Weil das Zwielicht stärker wurde, folgten wir dem zugefrorenen Bachlauf bergauf, und ich beglückwünschte mich. Siehst du? Alles, was nötig

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