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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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ist, ist ein wenig Mumm. Und sieh nur, wie schön es ist! Die welligen weißen Hänge, die schimmernden Gipfel, die hängenden Köpfe der Grasbüschel, die hier und da aus dem Schnee lugten. Selbst die Minenruinen waren verwandelt.
    Isaak stieß ein aufgeregtes Wuff aus – und in der Ferne erkannte ich schwarze Punkte, die sich über das Weiß bewegten. Rentiere!
    Siehst du?, sagte ich mir, während ich versuchte, den aufgeregten Husky zu bändigen. Es ist Leben da draußen! Du musst nur genug Mumm in den Knochen haben, um hinauszugehen und es zu finden.
    Die Hunde rasten hinter den Rentieren her, welche die Köpfe zurückwarfen und mit erstaunlicher Geschwindigkeit davongaloppierten. Die Hunde merkten schnell, dass es hoffnungslos war, und kehrten zu mir zurück.
    Es war sehr anstrengend, bergauf zu gehen, und bald schon war ich schweißgebadet. Beim Aufstieg in Schneeschuhen muss man sich mit den Zehen einkrallen, damit die Stifte im Untergrund Halt finden, während man sich gleichzeitig mit den Skistöcken nach oben hievt, bis einem die Ellenbogen weh tun. Außerdem lag nach dem vielen Regen eine Eisschicht unter dem Schnee, und bei jedem Schritt ertönte gläsernes Knirschen – oder ein erschreckendes Kratzen, wenn ich auf nackten Fels stieß – oder ein dumpfes Wump in einer Schneewehe.
    Dann löste sich ein Schneeschuh, und ich kniete nieder, um ihn festzuschnallen.
    Als ich mich wieder aufrichtete, hatte die Landschaft sich verändert. Die Berge schwebten über langgezogenen Nebelbänken. Ein hauchdünner Vorhang verschleierte die Bucht. Ich konnte zusehen, wie der Nebel dichter wurde, bis ich einzelne Merkmale nur noch durch den Kontrast unterscheiden konnte: die tintenschwarze See gegen das etwas hellere Grau des Ufers.
    «Höchste Zeit, dass wir nach Hause kommen», sagte ich zu Isaak, und wir machten uns auf den Rückweg. Er ging voraus und blickte sich ab und an nach mir um, so, als wollte er sagen, warum so langsam? Ich hielt den Blick gesenkt und achtete auf jeden einzelnen Schritt.
    Als ich wieder aufsah, waren die Berge nicht mehr da. Die See und das Lager waren verschwunden, ausgelöscht vom Nebel. Ich spürte seinen klammen kalten Griff in meinem Gesicht.
    «Je eher wir nach Hause kommen, desto besser», sagte ich zu Isaak. In der Stille klang meine Stimme zittrig. Und es war so furchtbar still.
    Trotzig knipste ich die Stirnlampe an. Isaaks Schatten ragte vor mir auf: ein Monsterhund. Der Schein der Lampe reichte kaum einen Meter voraus, doch wenigstens waren meine Spuren deutlich zu sehen, der Weg zurück zum Lager. Das Beste an Schneeschuhen ist der Umstand, dass sie so deutliche Spuren machen, denen noch der größte Volltrottel folgen könnte.
    Ich habe keine Ahnung, wie, aber ich habe die Spur verloren. Fassungslos sah ich mich um. Weg. Ich holte die Taschenlampe heraus und versuchte es damit. Vergebens. Genau wie bei der Stirnlampe reichte der Strahl kaum einen Meter weit. Wobei «Strahl» schon ein unangemessen kräftiges Wort ist. Es war eher ein diffuser Schimmer, der sich im Grau verlor.
    Bergab, sagte ich mir. Das ist das Zauberwort.
    Doch rund um mich herum sah ich nichts als Grau, und ohne jeden Kontrast war es unmöglich, die Verhältnisse zu erkennen. Ich schwankte. Ich konnte unten nicht mehr von oben unterscheiden. Ich wandte mich um. Ich stand auf einer Eisplatte, und die Schneeschuhe gerieten ins Rutschen. Im gleichen Augenblick nahm Isaak eine Witterung auf und zerrte vorwärts. Ich stürzte. Das Seil rutschte mir aus der Hand. Weg war er.
    «Isaak!», rief ich. Meine Stimme klang erstickt. Er blieb verschwunden.
    Fluchend griff ich nach den Skistöcken und quälte mich auf die Beine. Der Nebel bedrängte mich von allen Seiten.
    «Svarten! Upik! Anadark! Jens! Isaak! »
    Nichts. Ich stolperte vorwärts.
    Nein, Jack, das ist die falsche Richtung, du gehst bergauf. Ich wandte mich um. Doch es gab keinerlei erkennbare Umrisse, zu denen ich mich hätte umwenden können. Meine Spur hatte sich in ein Chaos aus zertrampeltem Schnee verwandelt, hier ließ sich nichts mehr verfolgen. Die Sturmlaterne fiel mir ein, an dem Geweih über der Veranda, dort, wo ich sie nicht sehen konnte. Ich wünschte, ich hätte so viel Verstand besessen, hinter der Hütte ebenfalls ein Licht aufzuhängen.
    Ich riss mir die Stirnlampe vom Kopf, zerrte die Kapuze herunter und lauschte verzweifelt nach einem Geräusch, das mich hätte leiten können. Die See war zu weit entfernt, und der Bach war

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