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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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zugefroren. Ich hörte nichts als meinen eigenen, keuchenden Atem.
    Verlaufen. Verloren.
    In der schweißdurchtränkten Kleidung unter dem Ölzeug fror ich bis auf die Knochen. Ich zwang mich, ruhig zu bleiben. Logisch zu denken. Wie unterscheidet man oben von unten?
    Antwort: Man tritt den Schnee in die Luft. Sieht man, wohin er fällt, hat man ebenen Boden vor sich. Sieht man es nicht, geht es hinunter.
    Ich zog die Kapuze wieder hoch und befestigte die Stirnlampe. Was nicht so einfach ist, wie es klingt, wenn man Fäustlinge trägt und einem die Hände zittern.
    Mein Verstand machte panische Sprünge. Ich sah mich weiter und weiter vom Lager wegstolpern, blind auf den Gletscher zusteuern, in einen vergessenen Minenschacht stürzen.
    Ich dachte, wenn zwei Tage ohne Übermittlungen von mir vergehen, wird man auf der Bäreninsel Alarm schlagen. Sie werden von Longyearbyen einen Suchtrupp schicken. Zwei Tage darauf werden sie – falls das Eis es gestattet – eintreffen. Sie werden ein verlassenes Lager und verzweifelte Hunde vorfinden. Nächstes Jahr im Sommer wird vielleicht jemand meine Knochen entdecken. All dies raste mir in einem einzigen Augenblick durch den Kopf.
    Dann fiel mir der Kompass in meiner Tasche ein. Schwachkopf! Du musst doch nur nach Nordost gehen, und dann kommst du ans Meer.
    Ich ließ das verfluchte Ding in den Schnee fallen. Ich wühlte danach. Zerrte mir die Fäustlinge von den Händen. Konnte ihn nicht wiederfinden. Scheiße. Scheiße!
    Fand ihn dann doch. Der Pfeil rührte sich nicht. Doch nicht kaputt, oder? Doch bitte nicht kaputt?
    Ich schüttelte ihn. Der Pfeil kreiselte wie wild. Mir zitterte die Hand, es gelang mir nicht, den Kompass still zu halten. Ich legte ihn auf einen Stein.
    Der Pfeil – dieser gesegnete, kleine Pfeil – kreiste herum – zitterte – und stand still. Da. Dort entlang.
    Keuchend stolperte ich bergab. Ich kam an einer niedergedrückten Stelle Schnee vorbei, die mit hellbraunen Fellflusen übersät war. Hier hatte ein Rentier geruht, und dieser Beweis für Leben ermutigte mich ungemein. Ein paar Schritte weiter erfasste der Strahl der Stirnlampe die hellgelben Flecken von gefrorenem Hunde-Urin. Dann hörte ich von ferne die Huskys jaulen.
    Dreißig Schritte später stand ich am Strand.
    «Gott», flüsterte ich. «Mein Gott!»
    Das Umherirren hatte mich ziemlich weit vom Kurs abgebracht, und ich war am östlichen Ende der Bucht herausgekommen, unter den Klippen. Erleichtert und beschämt über meine Panik, kehrte ich den Klippen den Rücken und machte mich auf den Weg entlang des Ufers. Ich hielt mich nah am Wasser, aus Angst, mich ein zweites Mal zu verlaufen.
    Schief und finster schälte sich das Notlager aus dem Nebel. Dann schimmerten im Schein der Stirnlampe die Walknochen auf. Schließlich konnte ich den Bärenpfosten ausmachen – und dahinter den wunderbaren Schein der Laterne über der Veranda.
    Ich rief nach den Hunden. «Upik! Pakomi! Anadark! Eli! Isaak!»
    Keine Antwort. Doch das war o.k.; sie würden wiederkommen, wenn sie hungrig waren. Ich eilte weiter.
    Als ich den Bärenpfosten erreichte, streifte der Strahl meiner Stirnlampe den Steinhaufen, in dem er steckte. Ein Büschel toten Grases ragte aus dem Schnee. Der Lichtschein berührte das verwitterte graue Holz. Der feuchte Nebel hatte die dunklen Flecken tiefschwarz gefärbt.
    Die Bedrohung kam aus dem Nichts. Ohne Vorwarnung fing mein Körper an zu kribbeln. Ich spürte, wie sich mir die Nackenhaare aufstellten. Außer dem Bärenpfosten mit seinem Steinhaufen war nichts zu sehen, doch mein Körper wappnete sich. Er wusste Bescheid.
    Dann drang, durch den Nebel jenseits des Pfostens, ein seltsames, gedämpftes Scharren an mein Ohr. Ein Geräusch, als würde Metall über Fels geschleift.
    Ich fuhr herum. Der Strahl der Stirnlampe streifte durch Nebel. Ich sah nichts. Doch das Geräusch wurde lauter, bestimmter. Klink. Klink. Kam näher. Auf mich zu.
    Mir pochte das Herz wie wild in der Kehle. Ich versuchte loszurennen. Meine Beine rührten sich nicht.
    Es war jetzt direkt vor mir, das Geräusch nur noch ein paar Fuß entfernt – und noch immer sah ich nichts. Das kann nicht sein. Aber ich höre es.
    Klink. Klink.
    Stille.
    Es hatte den Pfosten erreicht. Es war so nahe, dass ich es mit ausgestreckter Hand hätte berühren können, vorausgesetzt, ich wäre in der Lage gewesen, mich vom Fleck zu bewegen. Aber was war es? Eine Präsenz. Unsichtbar. Unerträglich nahe.
    Ich stand hilflos da, ohne

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