Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)
beginnt – wenn Schwärze alles ist, was man durchs Fenster sieht. Am Rande des Verstandes flackert Argwohn auf: Vielleicht ist hinter diesen Fenstern gar nichts mehr. Vielleicht gibt es nur dich und diese Hütte, und dahinter das Dunkel.
Angst vor dem Dunkeln. Ehe ich herkam, dachte ich, das wäre nur etwas für Kinder; etwas, aus dem man herauswächst. Doch tatsächlich verschwindet sie nie ganz. Unter der Oberfläche ist sie immer vorhanden. Die älteste Angst von allen. Was ist da, auf der Rückseite der Hütte?
Eriksson hatte recht. Man darf nicht zu viel denken. Sich beschäftigen, Tag für Tag einen Spaziergang machen; das hat er gesagt. Ich muss das wortwörtlich befolgen. Vor allen Dingen die Spaziergänge.
29. Oktober
Drei Tage Regen. Also: kein Zwielicht, kein Mond, keine Sterne. Und das hier ist Eisregen, kälter als alles, was ich jemals erlebt habe.
Vielleicht habe ich nach dem Vorfall an der Wetterhütte ein wenig die Nerven verloren; denn ich brachte meinen üblichen Gang den Strand entlang nicht mehr über mich. Stattdessen absolviere ich meine Spaziergänge jetzt, indem ich hinausgehe und die Hütte umrunde, eine Hand stets an der Wand, damit ich mich nicht verlaufe. Die Stirnlampe lasse ich immer angeknipst.
Runde um Runde gehe ich, und inzwischen kenne ich jeden einzelnen Nagel im Holz, jedes lose Eckchen Teerpappe. Jede Umkreisung besitzt ihren eigenen Schrecken und ihren eigenen Trost. Zur Türe hinaus und dann nach rechts, am Holzstoß und an den Fässern mit Paraffin und Benzin vorbei. Vorbei an Klosett und Kohlenhalde, wo der Hundeschlitten lehnt. Dann bin ich nicht länger auf dem Plankenweg, doch das macht mir nichts aus, weil nun der beste Teil kommt: Ich habe die Hundehütte erreicht. Ich öffne den Riegel, und heraus kommt ein Wirrwarr von haarigen Schnauzen und tappenden Pfoten. Eine oder zwei Runden lang begleiten sie mich, dann bekommen sie Langeweile und zerstreuen sich – obwohl Isaak noch ein Weilchen länger in der Nähe bleibt, vermutlich weil er weiß, dass ich ihm ein Karamellbonbon mitgebracht habe. Manchmal führe ich ihn an einem Stück Seil, doch meistens bringe ich es nicht übers Herz, ihm seinen Auslauf zu verwehren, und so bleibe ich allein zurück.
Nach der Hundehütte wird es schlimmer, weil die Hand im Fäustling die Hüttenwand loslassen und den nackten Fels berühren muss. Wenn ich mich dem Ende der Felsen nähere, werde ich langsamer, voller Angst, was mich um die Ecke erwarten könnte. Ich rufe laut, um – was eigentlich? Füchse? Bären? – zu vertreiben. Ganz gleich, dass das Packeis gewiss noch meilenweit draußen auf See treibt und die Gefahr von Bären verschwindend gering ist, noch dazu, wo ich die Hunde bei mir habe.
Jetzt bin ich an den Felsen vorbei, meine Hand ertastet die Holzwand der Hütte, und ich bin wieder auf dem Plankenweg. Man sollte meinen, das wäre eine Erleichterung, doch ich hasse diese Seite der Hütte. Ich muss immer daran denken, dass hier einst die alte Pelztierjägerhütte stand. Also beeile ich mich, den Blick fest auf den gesegneten Schein der Sturmlaterne gerichtet, die an dem Geweih über der Veranda hängt. Ich versuche, keinen einzigen Blick auf den Bärenpfosten zu werfen, drei Schritt von der Eingangstüre entfernt. Ich hasse es, wenn der Strahl meiner Stirnlampe ihn schneidet.
Ich erreiche die Türe und klopfe dreimal auf Holz. Gut gemacht, Jack. Eine Runde geschafft. Bleiben noch neunzehn.
Zwanzig Runden am Tag, so lautet meine Regel, und sie darf nicht gebrochen werden. Genau wie die Ablesungen und die Übermittlungen sind sie feste Anker, an denen meine Routine hängt, ein Fixpunkt in meiner Existenz.
Meine Ausrüstung zu trocknen ist zu einem weiteren Fixpunkt geworden. Ich verbringe Stunden damit, Handschuhe zu wenden, Strümpfe über den Ofen zu hängen, sicherzustellen, dass nichts versengt. Jedes einzelne Kleidungsstück ist mir ein treuer Freund. Heute Nachmittag musste ich mich davon abhalten, mit meinem Schal zu sprechen.
Der Ofen ist mir ebenfalls ein Freund, wenn auch ein launischer, und falls der Wind geht, verbindet uns eine innige Hassliebe. Ich schimpfe mit ihm und versuche mit Engelszungen, ihn dazu zu bewegen, besser zu ziehen. Ich lasse die Klappe offen stehen, sehe den flackernden Flammen zu und lobe das lodernde Zischen eines widerspenstigen Holzscheits. Wenn es sich weigert zu brennen, überschütte ich es mit Flüchen.
Ich dachte, in London sei ich einsam gewesen, doch so wie hier war
Weitere Kostenlose Bücher