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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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einzelne Planke knarren und stöhnen. Gott, ich hoffe nur, das Dach bleibt oben. Ich hoffe, die Fenster halten stand. Die Fensterläden befinden sich im Notlager am anderen Ende der Bucht. Sie könnten ebenso gut in Timbuktu sein.
    Doch auf seltsame Weise ist mir der Sturm willkommen. Denn er ist eine bekannte physikalische Kraft. Ein Schwall schneegeladener Luft, hervorgerufen von Luftdruckunterschieden. Das sind Dinge, die ich begreifen kann. Außerdem ist es besser als die Stille.
    6. November
    Drei Tage schon, und noch immer kein Ende in Sicht. Der Sturm lässt nicht einen einzigen Augenblick lang nach. Das Getöse ist unbeschreiblich, ein Dröhnen wie ein Güterzug, ein Heulen im Ofenrohr. Es ist überaus ermüdend. Noch im Schlaf träume ich von ratternden, quietschenden Straßenbahnen. Ich erinnere mich nicht mehr daran, was Stille ist.
    Ich kann verstehen, weshalb die Wikinger an Sturmriesen glaubten. Ich muss mich ständig ermahnen, dass hinter alldem keine Absicht steckt. Es mutet so zornig an. Als wollte der Sturm die Hütte entzweireißen und mich hinaus in die Nacht davontragen.
    Zur Wetterhütte zu gelangen ist ausgeschlossen, aber wenigstens habe ich noch immer Kontakt zu Ohlsen auf der Bäreninsel (gottlob haben die Funkmasten dem Sturm bis jetzt standgehalten). In meinen Übermittlungen lege ich die Ruhe eines erfahrenen alten Kriegsveteranen an den Tag. DAS IST EIN GROSSER STOP SCHNEE STEHT FENSTERHOCH STOP KOMME MIT DEN MESSDATEN IN VERZUG! Ich tausche mich auch mit Algie aus und über ihn mit Gus. GANZ SCHÖNES LÜFTCHEN HIER STOP WETTERHÜTTE AUF SICH GESTELLT STOP WENIGSTENS BLEIBT BUCHT SO EISFREI STOP HUNDE WOHLAUF STOP STURM GEFÄLLT IHNEN WOHL! Algies Antworten sind forsch und unbekümmert. SAUBERE ARBEIT JACK! WUSSTEN SCHON IMMER DASS ES MEHR ALS EIN LÜFTCHEN BRAUCHT UM DICH ZU ERSCHÜTTERN! Das darfst du laut sagen, Algie! Im Gegensatz zu dir mache ich mir wegen ein paar schlechten Träumen nicht gleich ins Höschen. Aber das wusstest du ja schon, nicht wahr, alter Knabe?
    Ich halte mich eisern an die Routine und absolviere meine Spaziergänge im Inneren der Hütte. Ich drehe sorgsame Runden im Wohnraum und schelte mich, sobald ich beim Zählen den Faden verliere, weil ich dann noch einmal von vorn beginnen muss. Das kommt recht häufig vor.
    Ich versuche, den Hunden einmal am Tag etwas zu fressen zu bringen, doch in Wirklichkeit klappt das nur etwa jeden zweiten Tag, und wenn ich dann hingehe, bringe ich ihnen umso mehr, um es wiedergutzumachen. Dazu muss ich jedes Mal steinharte Schneewände beiseiteräumen, die der Wind vor die Türe geweht hat. Die Hunde wirken wohlauf, wenn auch ein wenig eingeschüchtert, aber ich mache mir dennoch Sorgen. Was, wenn sie ersticken? Was, wenn ich nicht mehr zu ihnen gelangen kann und sie sich gegenseitig auffressen? Wenn ich in der Schlafkammer bin, spreche ich durch die Wand mit ihnen – vielmehr, ich rufe hinüber –, und sie jaulen zurück. Wenigstens weiß ich dann, dass sie noch am Leben sind.
    Nicht zu fassen, dass es tatsächlich eine Zeit in meinem Leben gab, als ich den Schnee liebte. Schnee ist grauenhaft. Sticht in den Augen. Blendet einen, führt einen in die Irre. Wann immer ich die Türe aufmache, lasse ich einen Wirbelwind ein, und danach brauche ich eine halbe Ewigkeit, um wieder sauber zu machen (obgleich ich zugeben muss, dass so das Wasserfass immer gut gefüllt bleibt). Und der Schnee findet dennoch einen Weg herein, stiehlt sich unter Türen hindurch und durch verborgene Ritzen in den Wänden, von denen ich nichts ahnte. Unterdessen macht sich an den Innenwänden der Hütte Frost breit und auch unter den Kisten. Man sollte es nicht meinen, doch der Frost ist inzwischen selbst in den Hauptraum vorgedrungen. Ich verbringe Stunden damit, ihn abzuschaben. Ständig hängen feuchte Tücher zum Trocknen über dem Ofen.
    Dieser Ofen. Früher war er einfach nur launisch. Jetzt ist er teuflisch; obgleich es mir noch immer gelingt, ihn anzufachen, wenn ich ihn mit in Paraffin getränkten Holzscheiten füttere. Doch bereits drei Mal – drei Mal! – hat eine besonders heftige Windböe eine dunkle Rauchwolke durchs Ofenrohr hinunter und in die Hütte hinein geblasen. Danach bin ich jedes Mal schwarz wie ein Schornsteinfeger, huste mir die Lunge aus dem Leib und muss stundenlang die Hütte putzen. Das ist der kleine gemeine Streich des Sturms. Ha, ha, ha! All meinen Bemühungen zum Trotz sind die Wände inzwischen vom Ruß geschwärzt. Er

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