Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)
tue, das verflixte Ding geht mir nie ganz aus dem Sinn.
Draußen sind es minus neun, und ein Südwind fegt zischend über den Schnee. Das Barometer fällt. Ich frage mich, ob uns ein Sturm bevorsteht.
Als ich mit Algie «gesprochen» habe, habe ich ihn gefragt, ob sich ihre Pläne für die Rückkehr inzwischen geändert haben. Er verneinte, aber etwas Genaues sagte er auch nicht. Neulich hatte es noch «frühestens in zwei Wochen» geheißen. Das war am 29. Oktober gewesen. Und das bedeutet, sie werden am 12. November hier eintreffen – frühestens. Noch elf Tage. Wenn ich mich an meine Regeln halte, werde ich vielleicht bis dahin durchhalten.
Gerade eben habe ich die letzte Kontrolle vor dem Schlafengehen absolviert. Am Himmel steht ein strahlend heller Sichelmond. Der Bärenpfosten wirft einen langen, dünnen Schatten, direkt auf mich zu.
Ach, könnte ich das verfluchte Ding doch nur nicht sehen.
2. November
Ich war gerade mit dem Frühstück fertig, als mir klarwurde, dass ich seit dem Aufwachen schon mindestens zwölf Mal nach dem Bärenpfosten gesehen hatte.
Das genügte. Ich knallte die Tasse auf den Tisch. «Zum Henker! Das muss ein Ende haben!»
Ich lief in die Schlafkammer, packte einen Armvoll Decken, rannte damit durch die Hütte und verhängte sämtliche Fenster. Na also. Du hast dich doch beschwert, weil du keine Vorhänge hast. Jetzt hast du welche.
Das funktionierte für etwa eine Stunde. Dann hob ich eine Ecke an und spähte hinaus.
Natürlich war der Pfosten noch da, wo er immer gestanden hatte: ein bisschen näher, als mir lieb ist, aber nicht mehr und nicht weniger nah als zuvor.
Ab sofort werde ich es mit einer neuen Taktik versuchen: meine Besessenheit zwar anerkennen, sie jedoch im Zaum halten. Zehn Kontrollen pro Tag – und keine einzige mehr.
Ich habe die «Vorhänge» trotzdem gelassen, wo sie sind. Falls es etwas zu sehen gibt, kann ich sie ja zurückstecken, doch für den Augenblick stellen sie eine Verbesserung dar.
Im Ofenrohr heult der Wind, und irgendwo schlägt ein loses Stück Teerpappe gegen die Hütte. Ich werde mich darum kümmern müssen.
Später
Ich komme gerade von der Fünf-Uhr-Ablesung zurück und weiß nicht, was ich davon halten soll.
Die Daten selbst sind eindeutig gewesen. Passables Wetter bei minus zehn. Der Wind bläst immer noch vom Gletscher herunter, doch der Himmel ist klar und offenbart spektakuläre Polarlichter. Das Lager, das Ufer, die Eisberge in der Bucht – alles war in dieses wundersame blassgrüne Licht getaucht. Inzwischen finde ich die Polarlichter nicht mehr einschüchternd. Sie sind beruhigend. Sie sind schließlich nichts weiter als ein physikalisches Phänomen: winzige Partikel aus Sonnenstürmen, die unsere Atmosphäre bombardieren.
Die Hunde sprangen auf, um mich zu begrüßen – sie kommen mit der neugewonnenen Freiheit wunderbar zurecht –, und ich gab ihnen ein paar Rumkugeln. Dann machte ich mich durch die Zähne pfeifend (Algie lässt grüßen!) um die Hinterseite der Hütte herum auf den Weg zur Wetterhütte. Isaak begleitete mich, und ich gab ihm zur Belohnung ein paar Karamellbonbons (wie er schon sehr gut wusste). Er kam auch mit mir zurück, und wir folgten dem Führungsseil zu den Funkmasten und zwängten uns hinter die Hütte. Wir waren bereits am Außenklosett um die Ecke gegangen und steuerten auf die Veranda zu, als ich wie angewurzelt stehen blieb.
Stand der Bärenpfosten nicht ein winziges bisschen näher als vorher? Isaak beschnüffelte mein Bein und fragte sich, weshalb ich stehen geblieben war. Ich beachtete ihn nicht und holte die Taschenlampe heraus. Isaak sah zu mir auf und wedelte zweifelnd mit dem Schwanz. Durch seine Gegenwart ermutigt, ging ich zum Nordfenster, drehte mich um und schritt die Entfernung zum Bärenpfosten ab und wieder zurück. Zweieinhalb Schritte. Nur zweieinhalb. Vorher waren es drei gewesen.
Es sei denn, ich habe unwillkürlich meine Schritte verlängert, was durchaus möglich ist. Doch ich brachte es nicht über mich, es noch einmal zu versuchen.
Sobald ich wieder in der Hütte war, führte ich mir einen kräftigen Schluck, ein paar Zigaretten und eine sehr strenge Standpauke zu. Pfosten bewegen sich nicht von allein. Der Umstand, dass der Bärenpfosten mir näher erscheint, ist schlicht der Tatsache geschuldet, dass er besser zu sehen ist, und das wiederum liegt an den Polarlichtern.
Mein Verstand akzeptiert das. Doch der tiefer liegende Teil meines Bewusstseins – jener Teil,
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