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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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fragte er nach den Hunden.
    HUNDE VORTREFFLICH , antwortete ich. BIN SEHR FROH SIE HIER ZU HABEN STOP BESONDERS ISAAK PRÄCHTIGER BURSCHE STOP
    Als ich die Antwort tippte, begannen meine Augen zu brennen. So wundervoll es war, mit Gus zu sprechen, so sehr schmerzte es mich auch. Es führte dazu, dass ich ihn noch mehr vermisste.
    JACK DU FLASCHE WUSSTE DOCH DASS DU SIE MAGST STOP
    JA STOP
    SCHWACHKOPF STOP
    JA STOP
    Ich saß da und grinste durch meine Tränen. Seine Fopperei tat mir so gut. Es war so normal und warm und menschlich.
    Und so plauderten wir weiter, belangloses Zeug, doch für mich bedeutete es die Welt. Schließlich sagte er, er müsse Schluss machen. Mir fiel nichts mehr ein, mit dem ich ihn hätte hinhalten können, und so verabredeten wir einen neuen Termin und verabschiedeten uns.
    Ich schaltete den Empfänger aus und starrte die Mitschrift seiner Worte an.
    Die Unterhaltung mit ihm hatte alles verändert. Sie hatte mir meine Isolation noch deutlicher vor Augen geführt, doch gleichzeitig hatte sie mir Kraft gegeben. Ich war nicht mehr der angsterfüllte Zwangsbesessene, der sich im Sturm verkrochen und sich einen imaginären Kampf mit einem Holzpfahl geliefert hatte. Ich war Jack Miller, der Mann, der die Spitzbergenexpedition von 1937 allen Widrigkeiten zum Trotz am Leben hielt.
    Ich setzte mich aufrecht hin. Jede noch so banale Einzelheit der Hütte verschaffte mir ein Gefühl der Befriedigung. Die ordentlich aufgereihten Dosen mit Eipulver und Frühstückskakao auf dem Küchenregal. Die sauberen Stahlstreben des Fahrradgenerators. Ich spürte die Rauheit des Tisches unter meinen Handflächen, ich atmete den vertrauten Geruch nach Paraffin, Holzfeuer und ungewaschener Kleidung ein. Dies ist meine Welt. Modern. Praktisch. Wirklich.
    Mit einem Mal merkte ich, wie hungrig ich war. Ich riss eine Tafel Schokolade auf und schlang sie hinunter. Die Süße brannte in meinem Mund, und von dem Energiestoß wurde mir schwindelig. Ich kochte Kaffee und stürzte zwei brühend heiße Tassen hinunter. Ich machte mir eine Riesenpfanne Rührei mit Würstchen und Käse. Ich zündete sämtliche Lampen an und stellte im Radio das Programm von BBC ein. Ich zelebrierte jeden einzelnen Handgriff, mochte er auch noch so belanglos sein.
    Eben gerade bin ich ans Schlafkammerfenster getreten. Die schwarze See ist mit Eisbergen gesprenkelt, doch es sind nur wenige, und sie liegen weit auseinander. Ich habe recht behalten. Durch den Sturm ist die Bucht eisfrei geblieben. Die Huskys haben sich einen Weg aus der Hundehütte ins Freie gegraben und tollen im Schnee herum. Direkt neben unserer Hütte reichen die Schneewehen beinahe bis zum Fenster, doch ein paar Meter weiter ist es flacher, und die Pfoten sinken nicht allzu tief ein. Sobald sie mich sahen, fingen sie an, mit den Schwänzen zu wedeln und nach mir zu rufen. Das würden sie nicht tun, wenn da draußen irgendetwas wäre. Tiere spüren diese Dinge, oder etwa nicht?
    Aber es wird wiederkommen. Das weiß ich. Ich trage dieses Wissen in mir wie einen schweren Stein.
    Was will es? Was ist hier Schreckliches geschehen, das es dazu bringt, mit derartiger Bosheit hier umzugehen?
    Ich denke über alle Gewalttaten nach, die mir je zu Ohren gekommen sind. Algies Lust am Töten fällt mir ein. Seine Gleichgültigkeit angesichts der Qualen dieser Robbe, seine Bereitschaft, die Hunde zu verstümmeln.
    Was ist hier geschehen?
    Später
    Ich kann nicht fassen, dass ich so dumm gewesen bin.
    Als ich mit Gus «sprach», war ich derart überwältigt, dass ich vergessen habe, die wichtigste aller Fragen zu stellen: Wann kommt ihr zurück?
    Und weshalb hat er es nicht von sich aus erwähnt?
    Der 12. November. Meinen Berechnungen nach das Datum ihrer Rückkehr. Bis dahin sind es noch drei Tage. Wenn sie jedoch kurz vor dem Aufbruch gewesen wären, hätte Gus doch bestimmt etwas erwähnt? Was verschweigt er mir? Wie viel länger muss ich noch durchhalten?
    Ich muss wieder hinausgehen. Der Himmel ist klar. Keine Wolke verdeckt den Mond.
    10. November
    Es kommt mir vor, als läge gestern eine Million Jahre zurück. Ich erinnere mich noch, wie ich meine Nerven mit einem Schluck Whisky und einer Zigarette beruhigte, ehe ich mich hinauswagte. Wie ich die Türe öffnete und vor einer Wand aus Schnee stand.
    Gott, war ich erleichtert! Eine physische Herausforderung, der ich mich stellen konnte.
    Die Hunde hörten mich schaufeln und stimmten ein ungeduldiges Bellkonzert an. Ich hackte mich durch

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