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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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hinaussah, hatte ein dünner Wolkenschleier den Mond zu tintigem Blau gedämpft.
    In diesem Augenblick spürte ich, dass ich nicht allein war.
    Die Nase gegen das Fenster gedrückt, fühlte ich mich grauenvoll verletzlich, doch ich vermochte nicht mich zu rühren. Ich musste hinsehen.
    Wo der Bärenpfosten gewesen war, stand eine Gestalt.
    Der Schnee rundherum glitzerte schwach; doch kein Licht berührte das, was mir zugewandt war. Es warf keinen Schatten.
    Das Ding stand regungslos da und sah mich an. Einen einzigen, entsetzlichen Herzschlag lang nahm ich den runden, nassen Kopf in mich auf, die Arme, die regungslos an den Seiten hingen, eine Schulter höher als die andere. Ich spürte, wie sein Wille in Wogen auf mich zu kam. Durchdringend, unerschütterlich, bösartig. So viel Böswilligkeit. Keine Gnade. Keine Menschlichkeit. Es gehörte dem Dunkel jenseits der Menschlichkeit an. Es war endloser Zorn. Eine alles ertränkende schwarze Flut.
    Und noch immer hielt ich die Hände ans Glas gepresst. Ich konnte mich nicht lösen. Eine entsetzliche Vereinigung.
    Ich weiß nicht, wie lange ich dort stand. Irgendwann musste ich ausatmen, und das Glas beschlug. Als ich es wieder sauber gewischt hatte, war die Gestalt verschwunden.
    Ich rannte zum Westfenster und sah hinaus. Nichts. Die Funkmasten verhöhnten mein Entsetzen. Ich rannte zum Fenster der Schlafkammer. Wieder nichts. Ich rannte zurück in den Hauptraum, blieb stehen und lauschte. Alles, was ich hörte, war das schmerzhafte Pochen meines eigenen Herzens.
    Die Wolken hatten sich verzogen, und der Mond leuchtete wieder hell. Der Schnee vor der Hütte war unberührt. Nichts deutete darauf hin, dass etwas dort gestanden hatte. Doch es hatte dort gestanden. Ich hatte seinen Willen gespürt. Seine Boshaftigkeit, die nach mir griff.
    Nach mir.
    Ich lag falsch. Falsch, falsch, falsch!
    Das ist kein Echo.

[zur Inhaltsübersicht]
    13
    9. November, später
    Ich stand einen Meter vom Fenster entfernt und starrte mein Spiegelbild an.
    Könnte ich doch nur glauben, dass das, was ich gesehen habe, ich selbst gewesen bin. Doch wenn man sich in einem dunklen Fenster sieht, dann sieht man sich selbst : seine eigene Gestalt, sein eigenes Gesicht. Was ich gesehen habe, hatte keinen struppigen Bart, keine ungekämmten Haare, die wild vom Kopf abstanden. Es hatte kein Gesicht.
    Was ist das? Was will es? Wieso ist es böse auf mich? Weil ich die Hütte zerstört habe? Wie kann ich es besänftigen?
    Hinter mir statisches Knistern. Die Lichter des Empfängers erwachten zum Leben. Ich muss ihn versehentlich eingeschaltet haben, als ich herumeilte, um die Decken von den Fenstern zu nehmen, obwohl ich mich nicht daran erinnern kann. Und doch war da eine Übermittlung. Eine Übermittlung. War es das, was ich soeben erlebt hatte? Etwas, das sich mit Gewalt seinen Weg bahnte wie Blut, das durch den Verband sickert?
    Aus der Hundehütte erklang drängendes Jaulen. Der Sturm ist vorüber! Wir haben Hunger!
    Mit brüchiger Stimme bat ich sie rufend, sich noch ein wenig zu gedulden.
    Wieder zogen tintenschwarze Wolkenfetzen auf den Mond zu, wie eine Hand, die sich ausstreckte, um ihn zu verdecken.
    Ohne den Blick von dem leuchtenden, zerfurchten Gesicht am Himmel zu wenden, setzte ich die Kopfhörer auf und griff nach dem Notizblock. Ich durfte den Blick nicht vom Mond abwenden. Sonst würden die Wolken ihn wieder verbergen, und dann …
    HIER GUS STOP
    Gus?
    Den ärztlichen Ratschlägen zum Trotz hatte er Algie überredet, ihn zur Funkstation zu bringen.
    Mit zitternder Hand tippte ich eine unzulängliche Antwort. WIE GEHT ES DIR?
    WUND GELANGWEILT BRUMMIG UND DIR?
    GUT STOP
    WIRKLICH?
    Mein Finger schwebte über der Morsetaste. JA WIRKLICH, antwortete ich. ÜBLE TRÄUME GEHABT, SIND ABER VORBEI STOP
    Die Antwort kam als eiliges Stakkato. JACK, IST ALLES IN ORDNUNG? MR. E IST HIER STOP KANN DICH IN ZWEI TAGEN HOLEN STOP
    NEIN BIN WOHLAUF LANGER STURM STOP ABER JETZT ALLES GUT STOP
    Wieso habe ich das gesagt? Wieso nicht, J A KOMMT SCHNELL ERTRAGE ES NICHT MEHR?
    Weil Gus am anderen Ende war. Gus, der goldgelockte Vollkommene, den Jack, der eifrige Schuljunge, so verzweifelt beeindrucken möchte.
    JACK DU BIST ERSTAUNLICH! BIN SCHRECKLICH DANKBAR! OHNE DICH WÄRE EXPEDITION GESCHEITERT!
    Ich errötete vor Freude. Gus wusste, wie viel Mut es verlangte, ganz allein hier zu sein; er wusste, wie tief er in meiner Schuld stand. Ich aalte mich in seiner Dankbarkeit und seiner Bewunderung.
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