Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
für die wenigen Menschen, die behaupten, daß sie uns vermissen oder gar vergehen ohne unsere Anwesenheit, denn alle Welt sucht Ersatz und findet ihn früher oder später oder gibt sich schließlich zufrieden, und darin lebt es sich bequem und man möchte keine Veränderungen mehr vornehmen, nicht einmal, damit das Verlorene zurückkehren kann oder das sehr Beweinte, auch nicht, um uns zurückzugewinnen … Wer weiß, wer uns ersetzt, wir wissen nur, daß man uns immer ersetzt, bei allen Gelegenheiten und unter allen Umständen und in jeder Funktion, ungeachtet der Leere oder Spur, die wir hinterlassen zu haben glauben oder tatsächlich hinterlassen haben, ob wir nun verschwunden oder gestorben sind, vor der Zeit oder gemäß dem natürlichen Lauf der Dinge, auf gewaltsame oder auf friedliche Weise: in der Liebe, der Freundschaft, im Beruf und im Einfluß, in der Beherrschung und sogar in der Sehnsucht selbst, im Haß, der unser am Ende ebenfalls überdrüssig wird, und in der Rachsucht, die sich umwölkt und ihr Ziel verändert, weil sie sich aufhält und wartet oder it delays and lingers, wie ich es nach Tupras Anweisung nicht tun sollte; in den Wohnungen, in denen wir leben, in den Zimmern, in denen wir aufwuchsen und in den Städten, die uns dulden, in den Korridoren, durch die wir als Kinder wild rannten, und an den Fenstern, durch die wir als Jugendliche verträumt hinausblickten, an den Telefonen, die uns überzeugen oder uns geduldig zuhören mit dem Lachen am Ohr oder mit einem zustimmenden Gemurmel, im Spiel und im Geschäft, in den Läden und in den Büros, vor unseren Verkaufstheken und vor unseren Tischen und beim Schach und beim Kartenspiel, in der kindlichen Landschaft, von der wir glaubten, sie gehöre nur uns, und in den Straßen, die erschöpft sind vom ständigen Anblick des Vergehens einer Generation nach der anderen, und alle traurig zum Schluß; in den Restaurants und auf den Promenaden und in den lieblichen Parks und Feldern, auf den Balkonen und in den Wintergärten, von denen aus wir so viele langweilige Monde unseres Schauspiels vorüberziehen sahen, und in unseren Sesseln und Lehnstühlen und zwischen unseren Laken, bis kein Geruch oder irgendeine Spur mehr an ihnen bleibt und sie zerrissen werden, um Streifen oder Tücher aus ihnen zu machen, und in unseren Küssen ersetzt man uns, und beim Küssen schließen sich die Augen, um unser Vergessen zu fördern (wenn das Kopfkissen noch dasselbe ist, oder damit wir uns nicht einmischen in einem verräterischen Aufblitzen des unkontrollierbaren Blicks des Geistes); in den Erinnerungen und in den Gedanken und in den Tagträumen und überall, und so sind wir alle wie Schnee auf den Schultern, glatt und sanft, und der Schnee hört immer auf …
Ich war seit längerem nicht mehr in Madrid gewesen, auch ich war verdampft oder geschmolzen, von mir blieb keine Spur, jedenfalls war dies das Wahrscheinlichste, oder vielleicht blieb nur der Rand, das, was am schwersten abgeht, und auch der Name, den ich nicht weggelassen hatte, noch hatte ich dieses Seltsame nicht erreicht. Natürlich nicht bei meinem Vater, dort hatte ich keineswegs aufgehört zu sein, aber das meinte ich nicht, sondern die Wohnung, die einst meine war. Und jetzt würde ich möglicherweise erfahren, wer mich an meinem Ort ersetzt hatte, und wenn es nur jemand Vorübergehendes war, der gewiß nicht bleiben würde, der Endgültige läßt auf sich warten oder harrt geduldig auf seinen Moment, wer uns wirklich ersetzt, kommt immer spät, er läßt andere vorbeiziehen und auf dem Scheiterhaufen verbrennen, den Luisa eines Tages für uns entzündet hat und der dann weiterbrennt und diejenigen verzehrt, die näherkommen, nach unserer Einäscherung erlischt er nicht von selbst. Um denjenigen, der jetzt an ihrer Seite war, brauchte ich mir noch keine Sorgen zu machen oder nur in Maßen, ein wenig, einfach weil er überhaupt an ihrer Seite war und an der meiner Kinder.
Ich hatte die Entscheidung getroffen, ihnen nicht schon von London aus Bescheid zu sagen, sondern erst, wenn ich angekommen wäre; auf meinen Anruf sollte dann gleich ein halber Überraschungsbesuch folgen können. Ich würde mich vergewissern, daß sie zu Hause waren – ich kannte den üblichen Tagesablauf, aber Ausnahmen oder Notfälle kann es immer geben – und dann wenige Minuten später auftauchen, unter großem Gelächter und mit meinen Mitbringseln. Die Kinder herumtollen zu sehen und aus dem Augenwinkel den amüsierten,
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