Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
sieht gut aus. Ich weiß nicht, wozu du mich das fragst, du bekommst sie doch bestimmt öfter zu Gesicht als ich.‹ Er wußte von unserer Trennung, das war nicht vor ihm geheimgehalten worden, wie man alten Leuten manchmal Nachrichten verschweigt, die ihnen Kummer bereiten würden. ›Ich lebe jetzt in England, Papa‹, erinnerte ich ihn, ›und ich habe sie schon seit längerem nicht gesehen.‹ Er schwieg einen Moment lang und erwiderte: ›Ich weiß schon, daß du in England lebst. Nun ja, mein Junge, wenn es das ist, was du willst. Ich hoffe, daß die Zeit in Oxford dir Nutzen bringt.‹ Zwar war ihm durchaus nicht unbekannt, daß ich jetzt in London wohnte, aber zuweilen gerieten ihm die Zeiten durcheinander, was eigentlich nicht verwunderlich ist, sie sind ein continuum und man ist immer darin, bis man dann dem Anschein nach aufhört, überhaupt zu sein.
Ich mußte Luisa anrufen, bevor ich bei ihr zu Hause auftauchte, nicht nur, um sicher sein zu können, daß die Kinder da waren, sondern auch aus Höflichkeit ihr gegenüber. Ich hatte noch die Wohnungsschlüssel, und vielleicht hatte sie die Schlösser nicht ausgetauscht; möglicherweise hätte ich mir problemlos Zutritt verschaffen können, ohne Bescheid zu sagen, erst Schreck und Überraschung später; aber diese Möglichkeit wäre mir als Übergriff erschienen, Luisa hätte das nicht lustig gefunden, und außerdem wäre ich das Risiko eingegangen, meinem provisorischen Ersatzmann über den Weg zu laufen, wer auch immer das war, sofern er denn schon routinemäßigen Zutritt zur Wohnung hatte. Wahrscheinlich war das nicht, doch im Zweifelsfall gilt es Zurückhaltung zu üben: Es wäre eine unangenehme Situation gewesen, und ich hätte es noch weniger lustig gefunden. Beim bloßen Gedanken, einen Unbekannten auf dem Sofa vorzufinden, auf meinem Platz, oder zu sehen, wie er in der Küche ein schnelles Abendessen vorbereitete oder mit den Kindern vor dem Fernseher saß und sich väterlich und nett gab oder gegenüber Guillermo kumpelhaft, drehte sich mir der Magen um. Auf die Tatsache selbst war ich vorbereitet, auf den direkten Anblick nicht, den hätte ich sonst später, zurück in London, immer wieder vor Augen gehabt und mein Leben lang nicht vergessen können.
Ich wählte die Nummer, es war frühabends, zweifellos waren die Kinder schon von der Schule zurück. Luisa ging selbst ans Telefon, und als ich ihr sagte, ich sei in Madrid, war sie ziemlich überrumpelt, sie brauchte einen Moment, um zu reagieren, als würde sie rasch überlegen, wie es angesichts der unvorhergesehenen Entwicklung weitergehen sollte, und dann: Warum hast du mir denn nicht Bescheid gesagt, du hast vielleicht Nerven, das kann man doch nicht machen; na ja, ich wollte euch eben überraschen, vor allem die Kinder, das würde ich immer noch gerne, sag ihnen nicht, daß ich hier bin, laß mich auf einmal vor der Tür stehen, ohne daß sie etwas ahnen, sie werden heute ja kaum mehr rausgehen, kann ich jetzt gleich kommen?
›Sie nicht, aber ich schon‹, antwortete sie hastig und ein wenig verlegen, so sehr, daß ich mich – unwillkürlich – fragte, ob das stimmte oder ob sie sich gerade erst dazu entschlossen hatte, auszugehen, meine ich, sich davonzumachen, sich zurückzuziehen, wenn die Begegnung stattfand, um mich nicht sehen zu müssen und sich ein Zusammentreffen mit mir zu ersparen.
›Mußt du gleich weg?‹ Ich hatte mit ihrer Anwesenheit gerechnet, mit ihrem wohlwollenden Blick auf das Wiedersehen von uns vieren, es hatte nicht denselben Wert, wenn sie es nicht miterlebte.
›Ja, in einer Weile, ich warte nur noch auf die Babysitterin‹, sagte sie. ›Weißt du was, ich rufe sie schnell an, bevor sie losfährt, und sage ihr, daß du kommst. Sie kennt dich ja nicht, wenn sie nicht informiert ist, würde sie dich vielleicht nicht hereinlassen wollen, ich habe ihr eingeschärft, unter keinen Umständen Fremden die Tür zu öffnen, und für sie wärst du einer, tut mir leid. Leg kurz auf, damit ich ihr Bescheid sagen kann, ich rufe dich dann zurück. Wo bist du?‹
Ich gab ihr die Nummer des Hotels und die Zimmernummer. Ihre Eile wirkte auf mich überzogen, heutzutage wird man eine Babysitterin ja wohl immer erreichen können, auch wenn sie nicht zu Hause ist, die haben doch bestimmt alle ein Handy. Es ging mir durch den Sinn, daß Luisa sie vielleicht überhaupt erst jetzt anrief, um sie möglichst schnell herzubestellen, wegen der neuen Situation, daher die Dringlichkeit,
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