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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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anfangs hatte es etwas Amüsantes, ich wußte, daß ich außerstande war, ihm wehzutun, und hatte auch gar nicht die Absicht. Ich wußte das, aber er nicht, und im Gegensatz zu dem, was Lehrer glauben, kann man Wissen nicht vermitteln; man kann nur überreden. Der Abgrund, der zwischen seiner Wahrnehmung und meiner Kenntnis lag, belustigte mich ein wenig, und gleichzeitig machte es mich beklommen, mich so eingeschätzt zu sehen, als Gefahr, als bedrohlichen und gewalttätigen Menschen. De la Garza war fast außer sich, er saß wie auf glühenden Kohlen.
    »Wirklich, ich möchte nur wissen, wie es dir geht, glaub mir doch«, versuchte ich ihn zu beruhigen, zu überzeugen. »Du warst ganz schön aufdringlich, du hast einen totalen Fauxpas begangen, schlimmer als du dir denken kannst, aber eine solche Reaktion hätte ich von meinem Chef nicht erwartet, tut mir leid. Das hat mich unvorbereitet getroffen, und ich fand, daß er übers Ziel hinausgeschossen ist. Ich wußte nicht, was er vorhatte, ich konnte nichts dagegen tun.«
    »Welcher Chef, Sir Peter? Ich verstehe hier gar nichts, wovon redet ihr überhaupt, élgar . Wenn er ihm gegenüber heftig geworden ist, wundert mich das nicht, er ist zu alt für solchen Blödsinn.« Rico schlug nochmal in dieselbe Kerbe, weniger weil ihn die Angelegenheit interessierte als weil er sich langweilte. Er schien einer von den Menschen zu sein, die es nicht aushalten, geistig inaktiv zu bleiben, und wenn man das unmittelbare Fremde nicht versteht, bleibt dem Geist nur das Warten, ein unerträglicher Zustand für diejenigen, die unentwegt Gedanken schmieden. ›Élgar‹ drückte eine Forderung aus.
    »Geh, hau ab, geh endlich«, sagte der Trottel wie ein trotziges kleines Kind. Er hörte mir nicht zu, er war vernünftigen Argumenten nicht zugänglich, wahrscheinlich hörte er mich nicht einmal. Er hatte völlig die Nerven verloren, und das in sehr kurzer Zeit, was mich in dem Gedanken bestärkte, daß wir wohl lange durch seine Alpträume gewandelt waren, Tupra und ich, darin bestimmt unzertrennlich. »Bitte, geh weg, sei so gut, laß mich in Ruhe, was wollt ihr denn noch, verdammte Scheiße, ich habe nichts gesagt, ich habe keinem die Wahrheit erzählt, es reicht jetzt.«
    Rico steckte sich noch eine Zigarette an, er hatte begriffen, daß der undurchdringliche Konflikt sich exklusiv und in vielleicht pathologischer Weise zwischen De la Garza und mir abspielte und er daraus nicht schlau werden würde. Er machte eine Handbewegung, die besagte, daß er davon nichts mehr wissen wollte, daß er seine Versuche ohne Bedauern aufgegeben hatte, und brummte eine weitere seiner vielfältigen Lautmalereien in sich hinein:
    »Esh«, sagte er. Das klang für mich genau nach: ›Na gut, vergessen wir diese zwei Idioten, ich denke über meine eigenen Angelegenheiten nach, ich habe nicht noch mehr Zeit zu verschwenden.‹
    Ich sah Rafitas verzerrtes Gesicht, die geballten Fäuste, die er noch eng am Körper hielt (nicht als Waffe, sondern als Schild), sein Blick war trübe, die Atmung hechelnd, ihn hatte ein Husten überkommen, das schubweise kam und ging, doch bei jedem einzelnen Anfall unkontrollierbar war, die Panik hielt ihn gepackt, die er erneut durchlebte und vielleicht auch schon seit Monaten fürchtete. Dieser Nebelfleck aus beständiger Angst würde noch lange anhalten, da war ich mir ziemlich sicher. Es mußte eine ganz üble Nacht für ihn gewesen sein, wirkliche Todesgefahr nimmt man immer wahr, man glaubt sofort daran, auch wenn sie am Ende nur ein tödlicher Schrecken ist. Es war sinnlos, es weiter zu versuchen. Ich fragte mich, was mit ihm geschehen wäre, wäre nicht ich, sondern Reresby unverhofft in seiner Bürotür aufgetaucht. Er hätte das Bewußtsein verloren, er hätte einen Iktus bekommen, einen doppelten Infarkt. Ich war in guter Absicht dorthin gekommen (soweit das möglich war), es hatte keinen Sinn, daß er weiter an meiner Anwesenheit litt. Im übrigen konnte ich beruhigt gehen. Körperlich machte er einen guten Eindruck. Wer weiß, ob er noch irgendwelche Schmerzen oder Beeinträchtigungen hatte, aber insgesamt war er wiederhergestellt. Seine gegenwärtige und auch künftige Unsicherheit war ein anderes Kapitel, sie würde ihn lange begleiten. Er würde sich fortan auf der Welt nicht wohl fühlen, mit einer Extraration Angst und einem andauernden Gefühl von Beklommenheit. Und obwohl ihn das nicht daran hindern würde, weiter Blödsinn zu reden, würde es dem Dünkel

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