Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
vielleicht kurzzeitig nostalgischen Blick von Luisa, das hätte für mich schon einen Schein von Triumph bedeutet und eine kurze Strähne leichtgläubiger Hoffnung, genug womöglich, um mich während dieses unnatürlichen Zweiwochenbesuchs aufrechtzuerhalten, kaum gelandet, wurde mir die Zeit schon lang.
Ich stieg in einem Hotel ab, anstatt bei meinem Vater zu wohnen, ich wußte von meinen Geschwistern – mehr als von ihm, der schlechte Nachrichten für sich behielt –, daß sein Gesundheitszustand sich in den vergangenen drei Monaten deutlich verschlimmert hatte, nachdem die Ärzte darauf gekommen waren, daß er drei ›Mini-Infarkte‹ hinter sich hatte – so nannten sie sie inoffiziell –, die ihm nicht einmal aufgefallen waren, er hätte nicht zu sagen gewußt, wann genau das gewesen war; und obwohl meine Brüder, meine Schwester, einige der Enkelinnen und meine Schwägerinnen ihn häufig besuchen kamen, hatte man letztlich doch eine Pflegekraft für ihn einstellen müssen, eine ziemlich sanftmütige kolumbianische Matrone, die in dem Zimmer schlief, das sonst für mich dagewesen wäre, und dazu auch unser langjähriges, inzwischen betagtes Hausmädchen entlastete. Kurz, ich wollte das neu eingerichtete Arrangement nicht durch meine Anwesenheit stören. Bei meinem derzeitigen Einkommen konnte ich mir sogar das Palace leisten, und so reservierte ich dort ein großzügiges Zimmer. Es fiel mir leichter, mich dort aufzuhalten als in irgendeiner fremden Wohnung, die meines Vaters und meiner besten Freunde oder Freundinnen eingeschlossen, gastfreundlicher die Frauen: Dort hätte ich mich nicht nur als Eindringling gefühlt, sondern auch aus meiner eigenen verbannt, während ich in einem Hotel ganz den Ausländer und Besucher vorschützen konnte, wenn schon nicht den Touristen, und weniger das undankbare Gefühl haben mußte, verstoßen und aufgenommen worden zu sein.
Ich rief meinen Vater an, wie immer ein kurzes Telefonat, obwohl er jetzt nicht vorbringen konnte, daß ich aus England anrief, was er als sündhaft teuer einschätzte (er gehörte einer sparsamen Generation an, die das Telefon nur zum Übermitteln oder Empfangen von Nachrichten gebrauchte, Wheeler war freilich nicht so, vielleicht war es eine Generation in Spanien), wir vereinbarten, daß ich ihn am nächsten Tag besuchen würde. Seine Stimme klang normal, nicht anders als bei unseren letzten Gesprächen von London aus, ich rief ihn jede Woche oder auch in noch kürzeren Abständen an; ein wenig müde, nicht mehr, und er hielt nicht gerne den Arm hoch. Das Seltsame jedoch war, daß er ohne das geringste Getue oder irgendeine Feierlichkeit im Ton mit mir sprach, so als hätten wir uns wenige Tage vorher gesehen, wenn nicht am Vorabend. Es war, als hätte er auf einmal nur noch wenig Gefühl für Zeit oder für deren Ablauf und als wäre ihm das, was ihm vertraut war oder sehr nahe stand, immer gegenwärtig, so sehr, daß er es nicht vermißte, ich meine nicht auf greifbare Weise, oder nicht bemerkte, daß es eigentlich fehlte. Ich war ich, einer seiner Söhne, und daher jemand Unveränderliches, mein Platz in seinem Geist war gefestigt genug, daß er meine körperliche Abwesenheit, meine Ferne und die ungewöhnlich großen Abstände zwischen meinen Besuchen oder eher deren Ausbleiben nicht richtig bemerkte. Er ging fast nicht mehr aus dem Haus. ›Ich bin aus London gekommen, Papa‹, sagte ich zu ihm, ›ich werde etwa vierzehn Tage hier sein.‹ ›Aha. Und was gibt es Neues?‹, fragte er mich ohne Nachdruck. ›Nichts Besonderes. Aber wir werden schon noch Gelegenheit zum Reden haben, ich komme dich morgen besuchen. Heute will ich bei den Kindern vorbeischauen, ich werde sie kaum wiedererkennen.‹ ›Die waren vor ein paar Tagen hier, mit ihrer Mutter. Sie kommt nicht häufig, aber doch sooft sie kann. Und sie ruft an.‹ Luisa war nicht so ein Fixpunkt und so stabil wie ich, deshalb fiel ihm ihr Kommen oder Nichtkommen auf, in einem gewissen Maß war sie immer noch neu für ihn. ›Sie wird viel um die Ohren haben‹, antwortete ich, als gehörte sie noch zu mir und ich müßte sie in Schutz nehmen. Ich wußte, daß das nicht nötig war, sie mochte meinen Vater sehr, und außerdem war ihr eigener vor ein paar Jahren gestorben, sie hatte diese verlorene Figur soweit wie möglich durch ihn ersetzt. Wenn sie ihn nicht häufiger besuchen kam, dann bestimmt, weil sie wirklich nicht konnte. ›Sah sie gut aus?‹, fragte ich unbeholfen. ›Ja, Luisa
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