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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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unerfahrene Schwindler, der noch vor dem Unwahrscheinlichen zurückschreckt, also vor dem, was die besten Chancen hat, zu seiner Zeit geglaubt zu werden.
    »Es ist wegen der Kinder«, antwortete sie. »Ich habe gemerkt, daß es Unsinn wäre, so sehr uns diese Dinger zuwider sind, wenn eine Babysitterin oder meine Schwester oder die Schule mich nicht gleich erreichen könnten, falls ihnen etwas passieren sollte.« Die Polin konnte sie also aus der Küche auf dem Handy angerufen und sie vorgewarnt haben, daß ich noch immer in der Wohnung und nicht wegzubewegen war, und dabei hatte sie dann ziemlich genau in Erfahrung gebracht, wann Luisa zurück sein würde. »Vor allem, seit du nicht da bist. Ich habe mir das Handy gekauft, um beruhigt sein zu können. Ich bin jetzt die einzige, an die man sich in Notfällen wenden kann, ich bin mit ihnen allein. Und was die Nummer angeht, was willst du damit in London. Wenn wir noch jeden Tag reden würden …« Leider hörte ich aus diesen letzten Bemerkungen keinen Vorwurf heraus, schön wäre es gewesen. Ich konnte nicht aufhören, ihr Auge anzustarren, das violette, gelbliche, bläuliche, schwarze, die Sklera war noch ein wenig gerötet, in den ersten Tagen nach dem Fausthieb waren wohl geplatzte Äderchen zu sehen gewesen. Sie tat, als wäre es ihr nicht mehr bewußt, aber sie sah, wie beharrlich mein Blick darauf fiel, und das machte sie ein wenig nervös, ich merkte das vor allem in dem Moment, als sie das Gesicht zum Fernseher drehte und mir ihr Profil zuwandte, um sich meinem prüfenden Blick zu entziehen. Und dann versuchte sie, das Thema zu wechseln: »Was schaust du denn da, einen Film über Schweine? Wie das? Das ist ja ganz was Neues«, fügte sie mit der freundlichen Ironie hinzu, die mir so sympathisch und vertraut war. Sie sah wohl, wie ein Lächeln über mein Gesicht huschte. »Den Kindern würde der Film gefallen, wie fandest du sie denn? Sind sie sehr gewachsen? Haben sie sich stark verändert?«
    Ich hatte Lust, mit ihr über die Kinder zu sprechen, ihr zu erzählen, welchen Eindruck sie nach so langer Zeit auf mich gemacht hatten. Aber so einfach wollte ich mich nicht ablenken lassen. Nicht nur war ich, wie ich war, sondern ich hatte nun auch noch das Beispiel von Tupra und von Wheeler vor Augen, die die Beute niemals losließen, wenn es nach den Abschweifungen und Umwegen und Ausflüchten noch etwas zu holen gab.
    »Erzähl mir keine Märchen, Luisa, wir werden uns beide nicht so sehr verändert haben. Die Geschichte mit der Garage hat so einen Bart, na klar, die Türen rebellieren und strecken alle möglichen Leute nieder«, sagte ich, und einmal mehr wurde mir klar, daß ich sie nur beim Vornamen nannte, wenn wir uns stritten oder wenn ich wütend war, ungefähr so, wie sie mich bei vergleichbaren Anlässen Deza nannte, und auch bei ganz anderen. »Sag mir, wer dir das angetan hat. Ich hoffe, nicht irgendein Typ, mit dem du ausgehst, sonst wären das ja ziemlich unangenehme Aussichten für uns.«
    »Für uns? Mal angenommen, ich gehe mit jemandem aus, was geht dich das überhaupt an, sag mir das mal«, bremste sie mich sofort, nicht scharf, aber doch bestimmt; und sie war sogar frei genug, ihre Ironie wiederzufinden und die Abfuhr sogleich abzumildern: »Bevor du so weitermachst, schau dir lieber noch eine Weile lang deine süßen Tierchen an, ich räume inzwischen auf, und wenn ich fertig bin, gehst du, die Kinder müssen früh raus und es ist schon ziemlich spät. Reden können wir ein andermal, wenn wir frischer sind, aber nicht über dieses Thema. Ich habe dir schon gesagt, was passiert ist, du solltest nicht partout Gespenster sehen. Und wenn das nur ein Trick ist, um mich zu fragen, ob ich mit jemandem ausgehe, geht dich das auch nichts an, Deza. Also los, guck noch ein wenig dem Schweinchen zu und dann ab ins Bett, du wirst erschöpft sein von der Reise und von den Kindern. Die machen müde, und du bist sie nicht mehr gewöhnt.«
    Ich konnte nicht anders, ich fand sie immer wieder amüsant und immer wieder reizend. Ich hatte eine Schwäche für sie, daran hatte sich in meiner Zeit in London nichts geändert. Nicht, daß ich das nicht gewußt hätte – vermutlich würde sich daran nie etwas ändern –, aber sie wieder vor mir zu haben, bestätigte mir diese Tatsache oder machte sie offensichtlich, ich mußte aufpassen, daß ich nicht unwillkürlich in ein entrücktes Gaffen verfiel, während sie herumwirtschaftete, ohne mich zu beachten. Abgesehen

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