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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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Lohn und die versprochenen Fahrtkosten ausgezahlt bekam, die teure Variante, es war schon fast zwölf, Luisa war etwas über vier Stunden weggeblieben. Oder vielleicht war es nicht nur das, sondern sie wollte Luisa unverzüglich warnen, daß sie nicht allein sein würde, wie sie vermutlich erwartete: daß ich gegen ihren ausdrücklichen Wunsch darauf bestanden hatte, auf sie zu warten, oder vielleicht auch entgegen den Anweisungen, die Mercedes erhalten hatte und für deren Einhaltung sie hätte sorgen sollen.
    Ich hörte die beiden kurz flüstern, ich stand vom Sofa auf, ich wagte es nicht, hinzuzutreten; dann hörte ich die Tür zufallen, die Polin war weg. Als nächstes klackerten Luisas Schritte über den Korridor – hohe Absätze, ich erkannte sie auf dem Parkett, wenn sie ausging, trug sie immer welche –, auf ihr Bad und das Schlafzimmer zu, sie steckte nicht einmal den Kopf herein, sie hatte es wohl eilig, oft überkommt es einen in dem Augenblick, in dem man nach Hause zurückkehrt; im Grunde fand ich das normal, wenn sie zum Beispiel in Gesellschaft gewesen war und nicht vom Tisch hatte aufstehen wollen, während eines Abendessens, bei jemandem zu Hause oder in einem Restaurant. Oder vielleicht wollte sie sich zurechtmachen, bevor sie sich mir zeigte, wenn sie mit meinem kurzzeitigen Ersatzmann zusammengewesen war und in dem Zustand zurückkam, in dem Frauen manchmal von solchen längeren Rendezvous zurückkommen, mit zerknittertem oder nicht ganz gerade sitzendem Rock, wirrem Haar, weggeküßtem Lippenstift, einer Laufmasche und einem Rest Leidenschaft in den Augen. Oder vielleicht war ihre Verärgerung so groß, daß sie beschlossen hatte, sich hinzulegen, ohne mich zu begrüßen, mich im Wohnzimmer sitzen zu lassen, bis ich es satt hätte oder begriff, daß sie, wenn sie schon gesagt hatte, sie wolle mich an diesem Abend nicht sehen, mich an dem Abend auch wirklich nicht sehen würde. Möglicherweise gedachte sie sich im Schlafzimmer einzuschließen und nicht mehr herauszukommen, sich zu entkleiden und das Licht auszuschalten und zu Bett zu gehen, so zu tun, als wäre ich nicht hier, als wäre ich noch in London und existierte in Madrid nicht oder als wäre ich in Wahrheit ein Gespenst. Sie war dazu fähig und auch zu anderem – ich kannte sie –, wenn man versuchte, ihr etwas aufzuzwingen, das hinzunehmen sie nicht bereit war. Aber sie würde das Schlafzimmer verlassen müssen, bevor sie die Augen schloß, mindestens noch ein Mal, und dann würde ich sie schlimmstenfalls abfangen können: Es wäre über ihre Kräfte gegangen, nicht noch einen Blick in die Zimmer der Kinder zu werfen und sicherzugehen, daß die beiden ruhig und wohlbehalten schliefen.
    Ich wartete weiter, ich wollte nichts überstürzen, schon gar nicht hingehen und an ihre Tür hämmern, sie bitten, sie möge sich doch sehen lassen, ihr durch eine Schranke hindurch unbeholfene Fragen stellen, Erklärungen von ihr verlangen, auf die ich kein Recht hatte. Ein schlechter Anfang wäre das gewesen nach einer so langen Trennung, besser, jeden Anschein von Konfrontation oder Vorwurf zu vermeiden, die unnötig und absurd und mir vor allem ganz unerwünscht gewesen wären. Von jetzt an mußte die Initiative von ihr ausgehen, ich hatte mich schon weit vorgewagt, indem ich mich weigerte zu gehen, nachdem der Vorwand weggefallen war, Zeit mit meinen Kindern zu verbringen, solange sie noch wach waren. Als ich den Schlüssel im Schloß hörte, hatte ich den Fernseher auf stumm geschaltet, aber ich hatte noch immer die Abenteuer jenes De-Niro- oder John-Wayne-Verschnitts in Schweinegestalt – ein ausgesprochen wohlerzogenes Schweinchen – und seiner Schauspielerkollegen vor Augen: ein paar Hunde, ein paar Schafe, ein Pferd, eine übellaunige Ente, allesamt glänzende Darsteller.
    Nach einigen Minuten hörte ich, wie ihre Schlafzimmertür aufging, dann wenige Schritte, sie trug noch die hochhackigen Schuhe, demnach hatte sie sich nicht umgezogen, aber sie ging mit sachterem Schritt, sie versuchte, keinen Lärm zu machen: Sie warf erst einen Blick ins Zimmer der Kleinen, dann in das des Jungen, sie ging nicht hinein oder höchstens einen Schritt weit, es war wohl alles in Ordnung. Noch wollte ich ihr nicht entgegengehen, mir war es lieber, daß sie ins Wohnzimmer kam, wenn sie denn kam, und als sie es schließlich tat – die Schritte nun schon fester, normaler, es genügte ihr, den Tiefschlaf der Kinder geatmet zu haben, um sich keine Sorgen mehr

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