Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
spürte sie bereits die Erleichterung darüber, daß mein Blick bald nicht mehr auf ihr haften würde, fügte ich hinzu: »Ma ti conosco, mascherina.« Die Redewendung hatte ich vor langer Zeit von meiner weit zurückliegenden italienischen Freundin gelernt, die mir ihre Sprache mehr oder minder beigebracht hatte; und dieser karnevaleske Ausdruck, den auch Luisa kannte, besagte so viel wie: ›Aber du kannst mich nicht täuschen‹.
I ch verlor keine Zeit. Am nächsten Tag ging ich, wie angekündigt, meinen Vater besuchen; ich blieb zum Mittagessen bei ihm, und während des Nachtischs erschien meine Schwester, die fast täglich bei ihm vorbeisah und noch nichts von meiner Ankunft wußte (mein Vater hatte vergessen, ihr davon zu erzählen, ›Ach, ich dachte, ihr wißt alle Bescheid‹), sie reagierte überrascht und erfreut. Als er sich auf Aufforderung seiner Pflegerin eine Weile hinlegte und wir alleine waren, informierte Cecilia mich genauer über seinen Gesundheitszustand (die Prognosen der Ärzte waren mittel- oder eher kurzfristig nicht optimistisch), und nachdem sie mir auch noch berichtet hatte, was es bei ihr und ihrem Mann Neues gab, und ich mein möglichstes getan hatte, um ihr von mir nicht mehr als die harmlosesten Vagheiten zu erzählen, nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte, ob sie etwas von Luisa wisse: Wie deren Alltag sei, ob sie sich sähen, ob Luisa ihres Wissens jemand Neuen habe oder noch nicht. Sie antwortete, sie sei so gut wie gar nicht auf dem laufenden: Sie telefonierten gelegentlich, vor allem wegen praktischer Fragen rund um die Kinder, und manchmal trafen sie dort, bei meinem Vater, zusammen, aber in der Regel nur für wenige Minuten, Luisa hatte es meist eilig, sie sagte herzlich guten Tag und ließ dann die Kinder da, damit sie etwas Zeit mit dem Großvater verbrachten oder mit ihren Cousins und Cousinen, den Kindern meiner Schwester oder meiner Brüder, samstags und sonntags überschnitten sich die Besuche der einen und der anderen; nach ein paar Stunden kam sie Guillermo und Marina abholen, auch das unter Zeitdruck. Sie habe gehört, sagte meine Schwester, daß Luisa unter der Woche auch mal alleine vorbeikomme, um ihrem Schwiegervater Gesellschaft zu leisten und sich mit ihm zu unterhalten, die beiden hatten seit jeher ein gutes Verhältnis. Vielleicht spreche sie mit ihm also mehr als mit irgendeinem anderen Mitglied der Familie oder über persönlichere Themen, wenn auch wohl nur alle Jubeljahre. Nein, sie habe keine Ahnung, was Luisa in ihren freien Stunden mache, viele könnten es sowieso nicht sein. Sie habe von ihr auch nicht gehört, daß sie mit jemandem ausgehe, aber das habe nicht viel zu bedeuten, Luisa halte sie über ihre Entwicklungen oder Schritte nicht auf dem laufenden, jedenfalls nicht in dieser Sache. Mein Schwager sei ihr vor zwei oder drei Monaten eines Abends beim Verlassen einer Galerie oder Ausstellung begegnet, sie wisse nicht mehr, was von beidem, in Begleitung eines Mannes, den er nicht kannte, was natürlich nichts heißen müsse, das Gegenteil wäre bemerkenswert gewesen; das gemeinsame Auftreten der beiden sei ihm normal erschienen, sie hätten wie Kollegen oder Freunde gewirkt, das heißt, er habe sie nicht etwa Arm in Arm gesehen oder so. Er habe nur gedacht, daß der Mann so ein Künstlerischer sei. Ich fiel ihr ins Wort (jetzt war ich schon in meiner eigenen Muttersprache schwer von Begriff).
»Meinst du ein Künstler? Wieso? Hat er dir gesagt, wie er aussah?«
»Nein, so nennen wir Leute, die halt auf künstlerisch machen, auf originell. Sie können Künstler sein oder auch nicht, das spielt keine Rolle. Aber sie haben etwas an sich, das ihnen diese Aura verleiht, etwas Bemühtes, man soll ihnen ihre Eindringlichkeit anmerken oder eben die Künstlerhaftigkeit, was weiß ich, das kann ein schwarzer Rollkragenpulli sein oder ein Galaspazierstock mit einem scheußlichen Windhundskopf als Griff oder ein anachronistischer Hut, den sie nie ablegen, oder eine Musikerfrisur mit Wellengang, du weißt schon.« Und sie strich sich veranschaulichend über den Kopf, ungefähr so, als würde sie sich die Haare fernwaschen, ohne daran zu rubbeln. ›Oder ein lächerliches goyaeskes Haarnetz‹, dachte ich beiläufig. ›Oder Tätowierungen an den unmöglichsten Stellen, wenn auch nicht gerade an den Fersen.‹ »Oder bei Frauen ein Birett oder diese losen Strümpfe, die nur bis zum Knie reichen, oder eine Seemannskappe oder der Kopfschmuck einer
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