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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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keinen Geringeren zeigte als den freudestrahlenden Boccherini, der über zwanzig Jahre lang in Madrid gelebt hat und dort arm wie eine Kirchenmaus starb, ohne daß ihm diese so undankbare Stadt jemals die Ehre erwiesen hätte (man weiß nicht einmal, wo seine Knochen liegen und ob es überhaupt ein Grab gab, das ihm eine letzte Ruhestatt hätte bieten können); in seinem Rücken stand eine Gedenktafel mit einem Zitat eines gewissen Cartier: ›Wollte Gott zu den Menschen in Musik sprechen, so täte Er es mit den Werken Haydns; doch wenn Er selbst Musik hören wollte, würde Er sich für Boccherini entscheiden.‹ Ja, mich begleitet er ebenfalls, wohin ich auch gehe, ebenso wie Mancini.
    Ich hatte mich zu weit entfernt und lief nun in aller Eile die Cuesta de la Vega hoch, ich fürchtete, am Ende aufgrund einer Fehlberechnung oder Unachtsamkeit doch nicht zu erfahren, was ich erfahren mußte. Als ich von neuem die Kreuzung Mayor und Bailén erreichte – ich warf einen Blick zu dem Eingang auf meiner Rechten, Custardoy war nicht dabei, das Haus zu betreten –, fiel mir ein, daß der beste Ort, um das Lokal mit den Tischen oder einen Teil davon im Auge zu behalten, ohne bemerkt zu werden, sich am oberen Ende einer kurzen Treppe befand, die direkt zu der Statue des polnisch- jota -tänzerischen Papstes führte, ich ging also hoch und stützte mich auf die Brüstung, mit dem Rücken zu Totus tuus , seine Gestalt war wirklich die häßlichste überhaupt, und nicht aus Mangel an Konkurrenz, die Leute würden mich für einen frommen Besucher halten, ich hatte mich unter die etlichen gemischt, die sich vor ihm ablichten ließen und dabei seine Pose der Einladung zum Tanz imitierten. Von meinem Standort aus hatte ich den Mann im Blick, wenn er aufstand, würde er mir nicht entkommen. Ich wartete. Und wartete. Er las weiter in seiner Zeitung, den Hut auf dem Kopf (schließlich befand er sich im Freien); er hatte seine grifflose Aktentasche auf den Stuhl neben sich gelegt und schien ein spezielles Sensorium zu haben, um wohlgeformte Frauen zu registrieren, denn sooft eine vorbeiging oder Platz nahm, sah er auf und taxierte sie, vielleicht hatte er auch nur eine Nase dafür. ›Da hat Luisa sich etwas eingebrockt, auch in dieser Hinsicht‹, dachte ich. ›Er muß einer von den Männern sein, die nie mit einer einzigen genug haben.‹ Ich hätte gewünscht, ein Fernglas dabeizuhaben, um ihn besser beobachten zu können. Doch auch aus dieser Entfernung gab es noch etwas an ihm, das mich an jemanden erinnerte, eine Affinität oder eine Ähnlichkeit, gerade so, wie mir Incompara meinen alten Klassenkameraden Comendador ins Gedächtnis gebracht hatte, der heute ein respektabler Bauunternehmer in New York oder Miami ist oder wo er auch hingezogen sein mag. Aber ich kam nicht darauf, ich konnte das Vorbild nicht identifizieren, ich meine den ersten Typen mit einem derartigen Stil, dem ich irgendwann begegnet war.
    Endlich sah ich ihn zweimal mit den Fingern schnipsen, mit erhobenem Arm, eine geringschätzige und inzwischen veraltete Geste, um den Ober zu rufen. ›Ein weiteres Bier wird er nicht bestellen‹, dachte ich, ›es stehen ja schon zwei leere Gläser vor ihm.‹ Zum Glück wollte er zahlen; er zog einige Scheine aus der Hosentasche (auch ich trage sie so mit mir herum, ohne Portemonnaie) und legte einen davon auf den Tisch, wie wir Madrilenen alter Schule es seit jeher tun, Geld darf nie von einer Hand in die andere übergehen, ohne einen neutralen Ort passiert zu haben. Er kannte den Kellner, was sein schon für sich genommen überhebliches Fingerschnipsen noch unhöflicher erscheinen ließ: Während jener das Wechselgeld ebenfalls auf den Tisch legte, gab er ihm einen leichten Klaps auf den Arm, wie er es bei den Buchhändlern getan hatte, vielleicht nahm er täglich seinen Aperitif im Anciano Rey de los Vinos. Schon im Gehen sagte er etwas zu ihm, und der Kellner lachte herzlich, wie schon die aus der Buchhandlung Méndez und die junge Generalin Custer oder Colonel Crockett mit ihren Fransen, er mußte wirklich ziemlich witzig sein. Allmählich kam der Moment, herauszufinden, ob er er war oder ein anderer. Er verließ die Biegung nicht durch die Gasse mit dem ungelösten Mord, sondern durch die Calle Bailén, das war schon mal die richtige Richtung. Im Vorübergehen sah er sich die Auslage des Musikalienladens an, der die gesamte Straßenecke einnimmt, überquerte sodann die Calle Mayor und blieb vor der Ampel an der

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