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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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nächsten Begegnung danach erkundigt, was passiert, was daraus geworden, wie es ausgegangen ist, wie wir uns am Ende entschieden haben, ob er uns letztlich nützlich war, ob wir auf ihn gehört haben oder nicht. Und schon ist er mit uns verbunden, wenn nicht verwickelt, wenn nicht verstrickt. Wir haben ihn gezwungen, teilzunehmen, und sei es nur als Zuhörer, über die Situation nachzudenken und sich nach dem Ausgang zu fragen; wir haben ihn genötigt, unsere Geschichte zu kennen, und fortan wird er immer darum wissen und sie nicht löschen können; und wir haben ihm auch ein gewisses Recht gegeben, uns später danach zu befragen, oder ist es eine gewisse Pflicht, die wir ihm auferlegt haben: ›Was hast du denn dann gemacht, wie hast du die Sache gelöst?‹, wird er bei jenem nächstem Mal fragen, und es würde sogar seltsam wirken, desinteressiert oder unhöflich, wenn er nicht wieder auf den geschilderten Fall zu sprechen käme, zu dem wir ihn gezwungen haben beizutragen, ob mit Worten oder, wenn er es abgelehnt hat, sich äußern, und sich nichts hat entlocken lassen, durch das bloße Anhören unserer Frage. ›Ich weiß nicht, ich kann und sollte keine Meinung dazu vertreten, und außerdem will ich es nicht wissen‹, sehr gut möglich, daß er das erwidert hat, doch selbst so hat er schon etwas gesagt: Mit dieser Antwort hat er uns zu verstehen gegeben, daß ihm die Angelegenheit nicht gefällt und daß sie ihm giftig oder zwielichtig erscheint, daß er keinen Anteil daran nehmen will, nicht einmal als Ohrenzeuge, daß es ihm lieber wäre, nicht Bescheid zu wissen, und daß keine seiner Wahlmöglichkeiten ihm gefällt, daß es besser wäre, wir täten nichts und ließen es laufen oder wir träten beiseite; und daß wir ihm in jedem Fall die Geschichte ersparen sollten. Auch mit der Aussage ›Ich weiß nicht‹ oder ›Ich will nicht hören‹ sagt man schon viel, wenn man gefragt wird, gibt es keinen denkbaren Ausweg, nicht einmal mit Zurückhaltung oder Schweigen rettet man sich, denn durch Stillhalten äußert man bereits Mißfallen oder rät ab, Schweigen bedeutet keinesfalls Zustimmung, wie es das Sprichwort behauptet. Wollte Gott, daß niemand uns jemals um etwas bittet oder auch nur fragt, weder um einen Rat noch um einen Gefallen oder ein Darlehen, nicht einmal um Aufmerksamkeit. Aber so ist es nie, das ist ein unbedarfter Wunsch. Immer erreicht uns irgendeine vorletzte Frage, immer bleibt noch irgendeine Bitte und hinkt hinterher. Nun war ich es, der fragen würde, nun würde ich die meine vorbringen, eine im Grunde für jeden Adressaten kompromittierende Frage, außer vielleicht für denjenigen, der sie gleich hören sollte. Von ihm hatte ich noch einiges zu lernen, zu meiner Beunruhigung und vielleicht zu meinem Unglück.
    Bei Einbruch der Dunkelkeit rief ich von meinem Hotelzimmer aus Tupra an, wer, wenn nicht er, sollte mir einen Rat geben und mit Glück auch Instruktionen, mir Empfehlungen aussprechen und als Führer dienen, und außerdem war er der geeigneteste Ansprechpartner für diese Art von Angelegenheiten, bei denen es mit dem Reden nicht getan ist; er war auch der vorhersehbarste, das heißt derjenige, der mir mit der höchsten Wahrscheinlichkeit bestätigen würde, daß ich zu tun hatte, was ich glaubte, oder der mir das, was ich zu tun hatte, nicht ausreden würde. Nach meiner Berechnung konnte er um diese Uhrzeit, auch wenn es in England eine Stunde früher war, schon zu Hause sein, sofern es sich nicht um einen der Tage handelte, an denen ihm nach Amüsement und vielen Menschen zumute war und er alle rekrutiert hatte, einschließlich Branshaw und Jane Treves, um im Rudel auszugehen. Ich wählte seine Privatnummer, aber es nahm eine Frau ab, bestimmt die attraktive, altmodische Silhouette (fast die Figur eines Stundenglases), die ich am Ende der Videonacht gesehen hatte, im Gegenlicht auf dem Korridor, an der Tür zu seinem kleinen Arbeitszimmer; wenn es seine Frau oder Ex-Frau, wenn es Beryl war, würde er meinen Fall noch besser verstehen.
    ›Wie geht’s, Jack? Das ist aber reizend, daß du von dir hören läßt. Oder möchtest du dich nach mir und den anderen erkundigen? Umso freundlicher von dir, mitten im Urlaub.‹
    Natürlich lag etwas Ironie in seinem Ton, doch ich merkte ihm auch eine gewisse Freude an, mich zu hören, oder war es Amüsiertheit, mit mir amüsierte er sich noch. Ich entschloß mich, nicht Theater zu spielen und ihm über die Grußformeln hinaus nichts

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