Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
Calle Bailén stehen, er hatte Rot. Doch dann verlor ich ihn aus den Augen und machte hastig ein paar Schritte zurück, bis ich einen Standort gefunden hatte, von dem aus ich ihn wieder sehen konnte, links von dem Souvernirladen des schauderhaften Tempels, der seinerseits links von Totus stand, wer zum Teufel sollte da etwas kaufen. Von hier aus konnte ich durch ein Gitter hindurch den ganzen Winkel ausmachen, ich stand nun gegenüber von seinem Eingang, wenn es denn seiner war, nur weiter oben, sein Blick würde nicht auf mich fallen, er würde nicht hochschauen, ich fühlte mich wie der Vampir von Düsseldorf auf der Lauer. Custardoy brauchte nur noch diese Straße zu überqueren, wenn die Ampel auf Grün sprang, und durch den Hauseingang zu gehen, auf den ich ihn zuschob, die Tür war wieder einmal zu. Jetzt sah ich ihn gut, mit seinem Hut war er unverwechselbar, ich würde auch seine Schritte sehen, wenn er losmarschierte. ›Eins, zwei, drei, vier, fünf …‹, begann ich im Geist zu zählen, als er Grün bekam, im Verhältnis zu seiner Körpergröße hatte er kleine Füße, er ging weiter in die gewünschte Richtung, nein, er würde nicht mehr haltmachen, ›… fünfundvierzig, sechsundvierzig, siebenundvierzig, achtundvierzig; und neunundvierzig.‹ Und da blieb er stehen, vor dem richtigen Eingang, er hatte den Schlüssel schon in der Hand. Und in dem Moment dachte ich mit einem flüchtigen Triumphgefühl: ›Da wollte ich dich sehen, jetzt habe ich dich.‹
Ich wartete noch einige Minuten ab, um zu sehen, ob irgendein Fenster aufging und mir verriet, in welchem Stockwerk er wohnte und daß er die Wohnung betreten hatte. In diesem Punkt hatte ich kein Glück. Ich ging die Treppe hinunter, überquerte zwei Straßen, wie Luisa es möglicherweise häufig tat, wenn sie ihn viel besuchen kam – übernachten würde sie nicht können –, ich überlegte kurz, ob ich ein Taxi zum Palace nehmen sollte, ich sah kein freies, während ich noch zögerte, ich machte mich auf den Rückweg. Auf Höhe der Plaza de la Villa blieb ich stehen, um mir die Statue, die er betrachtet hatte, näher anzusehen, Don Álvaro de Bazán oder der Marqués de Santa Cruz, vielleicht die am wenigsten häßliche von den vielen, auf die ich gestoßen war. Ich ging um sie herum, auf der Rückseite des Sockels war eine Inschrift zu lesen: ›Der wilde Türk’ in Lepanto, auf Terceira der Franzos’, auf allen Meeren der Brite, ihr Schrecken vor mir war groß. Dem König gedient, die Heimat geehrt: sollen sie sagen, wer ich gewesen, beim Kreuz meines Namens, beim Kreuz meines Schwerts.‹ ›Diese Spanier sind schon ganz schöne Aufschneider‹, dachte ich, ich fühlte mich noch immer sehr fremd, ›ich sollte das von ihnen lernen, damit meine Feinde Reißaus nehmen und sagen: »Ich gehe fort, Spanier Blitz und Feuer, und siegreich lass ich dich zurück. Ich lasse euch, ihr lieblichen Gefilde, aus Spanien geh ich zitternd fort …« Sie sagen einander stets alles ins Gesicht, selbst wenn sie einen Landsmann vor sich haben, der nicht so einfach gehen wird. Custardoy und ich, wir sind welche.‹ Der Admiral hatte den Arm ausgestreckt und hielt etwas in der Hand. Man konnte es nicht sehr klar erkennen, es konnte eine eingerollte Landkarte sein oder ein Feldherrenstab, eher letzteres. Die andere Hand, die Linke, hielt den Knauf seines in der Scheide steckenden Schwerts umklammert, mehr oder minder wie die des einsamen Grafen auf seinem Porträt. ›Viele Schwerter auch‹, dachte ich, ›auf diesen alten Straßen.‹
VII ABSCHIED
M anchmal weiß man, was man tun will oder tun muß oder sogar was man zu tun gedenkt oder fast sicher tun wird, aber außerdem braucht man jemanden, der es einem sagt oder bestätigt oder der einem widerspricht oder beipflichtet, in gewissem Sinn ist das ein Manöver, das man vornimmt, um etwas von der Verantwortung abzuladen, um sie verschwimmen zu lassen oder zu teilen, und sei es auch nur fiktiv, denn was man tut, tut man allein, unabhängig davon, wer uns überzeugt oder überredet oder anspornt oder uns sein Plazet gibt, wer es uns gar befiehlt oder aufträgt. Zuweilen verkleiden wir dieses Manöver als Zweifel oder Ratlosigkeit, wir stellen uns vor jemanden hin und bringen ihn in die unerfreuliche Lage, um seine Meinung oder um Rat gebeten zu werden – die unerfreuliche Lage, überhaupt um etwas gebeten oder gefragt zu werden –, und schon haben wir zumindest erreicht, daß der Betreffende sich bei der
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