Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
der Lager; Rylands, der mir seinerzeit gesagt hatte ›als ich Afrika zum ersten Mal verließ‹, als wäre er dort geboren, womit er also schlichtweg seine zehn oder elf ersten Jahre in Neuseeland leugnete, auf einem anderen Kontinent, auch wenn es Inseln waren) und daß sie sehr wohl ein Geheimnis barg, so unbefangen er sie auch erzählt hatte. Und er mußte sie nur zum Teil erzählt haben: er hatte das Geheimnis selbst nicht erzählt, sondern den Teil, der es umgab oder wie ein Pfeil darauf verwies.
»Und dann?« fragte ich. »Wann haben Sie sich wiedergesehen?«
»Erst in England, sehr viel später. Damals war ich schon wirklich Wheeler, und er war Rylands. Ich glaube, ich war schon der, der ich bin, wenn ich denn bin, was ich zu sein glaube. Ich hatte ihn gesucht, wir fanden uns nicht. Nicht richtig. Aber das ist eine andere Geschichte.«
»Bestimmt«, antwortete ich, vielleicht leicht ungeduldig, ohne es zu wollen: Der mangelnde Schlaf präsentierte mir zuweilen seine Rechnung, und auf das, was einen selbst betrifft, wartet man nicht gern, auch wenn es nur ein Kommentar ist. »Und ich denke mir, daß sich vielleicht irgendwo in ihr die Antwort auf meine schon alte und von Ihnen provozierte Frage verbirgt: worin ich wie Sie beide sein könnte, Toby zufolge. Sie werden mir doch wohl nicht sagen, daß es an meinem veränderlichen Vornamen liegt, Sie wissen schon: Sie und andere nennen mich Jacobo, aber Luisa und viele mehr sagen Jaime zu mir, und es gibt sogar welche, die mich als Diego oder Yago kennen. Ganz zu schweigen von Jack, hier in England. Das ist alles andere als selten.«
Wheeler bemerkte meine leichte Ungeduld, so etwas entging ihm nicht. Ich sah, daß es ihn amüsierte, es brachte ihn nicht im geringsten aus dem Konzept noch setzte es ihn unter Druck.
»Ich nenne Sie Jack, zum Beispiel«, sagte Frau Berry schüchtern. »Ich hoffe, das stört Sie nicht … Jack.« Und dieses Mal zögerte sie, bevor sie den Namen aussprach.
»Ganz und gar nicht, Mrs. Berry.«
»Und unter welchem kennst du dich selbst?« fragte Wheeler, die Gelegenheit nutzend.
Ich mußte nicht eine Sekunde nachdenken.
»Unter Jacques. So habe ich es gelernt und mir als Kind zu eigen gemacht. Obwohl mich fast nur meine Mutter bei diesem Namen genannt hat. Nicht einmal mein Vater gesteht ihn mir zu.«
»Na bitte«, sagte Wheeler in absurd demonstrativem Ton. There you are war sein Ausdruck, für den mir hier keine andere Übersetzung einfällt. »Aber nein, Toby bezog sich nicht darauf, und ich auch nicht«, fügte er sogleich hinzu. »Er hatte mir ziemlich viel von dir erzählt, bevor wir uns kennenlernten, du und ich. Tatsächlich haben wir uns zum Teil deshalb kennengelernt, er hatte meine Neugier geweckt. Daß du vielleicht wie wir sein könntest … Das hatte er vorausgeschickt und mir dann später bei irgendeiner Gelegenheit bestätigt, als das Gespräch auf die alte Gruppe kam. Aber du lebtest damals nicht mehr hier, und es war auch nicht absehbar, daß du eines Tages zurückkommen und bleiben würdest. Keine Sorge, ich will damit nicht sagen, daß du jetzt für immer bleiben wirst, ich bin sicher, du wirst früher oder später nach Madrid zurückkehren, ihr Spanier haltet es nicht lange aus fern von zu Hause; obwohl du Madrider bist, ihr habt am wenigsten Heimweh. Aber du bist zurückgekommen, um prinzipiell für unbegrenzte Zeit zu bleiben, lassen wir den relativen Widerspruch so stehen, und das ist schon viel Rückkehr. Damit bekommt Tobys Meinung plötzlich postum, wie soll ich sagen, eine zusätzliche praktische Bedeutung. Vor allem, weil auch ich der Meinung bin (schließlich und endlich hat er keinen Einfluß mehr und kann auch nicht mehr unter Druck gesetzt werden), nachdem ich nach seinem Tod ziemlich viel Umgang mit dir hatte. Mit Unterbrechungen natürlich, aber es sind mittlerweile schon viele Jahre. Auf seine literarischen Urteile habe ich nicht viel gegeben, das sagte ich schon. Wohl aber auf die persönlichen, auf seine Urteile über Menschen, auf seine Interpretation und Antizipation, er sah sie, oder wie ihr sagt, er durchschaute sie.« Und die letzten drei Worte sagte er in meiner Sprache. »Darin irrte er sich selten, er war beinahe unfehlbar. Fast so wie ich.« Er lachte gekünstelt auf, um die Unbescheidenheit ungesagt zu machen oder abzuschwächen. »Möglicherweise mehr als unser Freund Tupra, der sehr gut ist, oder als dieses kompetente Mädchen, das er hat, nehme ich an, ihr lebt in einer Zeit,
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