Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
deshalb, weil mein Vater sich eilig davonmachte, ich glaube, er wollte nicht mit ansehen, wie meine Mutter sich früher oder später einem anderen Mann zuwenden würde, er war sich dessen sicher (das glaube ich jetzt, na ja, seit einiger Zeit). Er ging nach Südafrika und schien uns nicht allzusehr zu vermissen. Dieser Anschein war so stark und dauerte so lange Jahre, daß ich es für unzweifelhaft und wahr hielt und der Groll mir leicht fiel. Unser Großvater mütterlicherseits, unser Großvater Wheeler, beschloß, für seine beiden Enkel zu sorgen, in ökonomischer Hinsicht. Und da er nur diese hatte, mit Nachnamen Rylands logischerweise, änderte meine Mutter, die zweifellos keine Expertin in der Psychologie von Heranwachsenden war, ihren und unseren Namen, das heißt, sie nahm wieder ihren Mädchennamen an und stülpte ihn auch uns über: eine Form, den Großvater zu verewigen, denke ich, namentlich; wer weiß, ob er das nicht erzwang. Die Sache wurde 1929 mit allen gesetzlichen Folgen notariell beglaubigt und offiziell gemacht« – by deed poll lautete der englische Ausdruck, ich hatte ihn im Who’s Who gesehen –, »aber wir hatten den Namen Wheeler schon bald nach der Scheidung zu benutzen begonnen. So waren wir in der Schule gemeldet, und so kannte man uns schon in Christchurch, wo wir geboren wurden. Die Maßnahme der armen Rita, meiner Mutter, war wahrscheinlich eine Dankbarkeitsbezeugung oder eine Entschädigung für den Großvater, ihren Vater, und noch wahrscheinlicher eine kindische Vergeltungsmaßnahme gegen den unseren, ihren Ex-Mann Hugh. Fast über Nacht hörten wir auf, uns als Peter und Toby Rylands zu fühlen, und wurden die Gebrüder Wheeler, ohne Vater und ohne Vaternamen sensu stricto . Doch während ich keine Proteste dagegen erhob (später ist mir die Verwirrung klar geworden, das Verstörende, wie soll ich sagen: daß man das Zeichen einer Identität nicht straflos verändern kann), rebellierte Toby vom ersten Augenblick an. Er antwortete weiterhin ›Toby Rylands‹, wenn man ihn nach seinem Namen fragte, und so schrieb er seinen Namen in der Schule, sogar bei den Examen. Und nach zwei oder drei Jahren Auseinandersetzungen und offensichtlichem Unglück, ich weiß nicht, als er elf war, drückte er seinen heftigen Wunsch aus, nicht nur seinen angestammten Namen zu behalten, sondern darüber hinaus, zu seinem Vater zu ziehen. Er empfand für ihn größere Zuneigung als ich, größere Bewunderung, größere Kameradschaft und größere Abhängigkeit; er war empfindsamer, auf mittlere oder lange Sicht hat er es bestimmt nicht ertragen, mich und meine Mutter zu verlieren, obwohl er es mir nie gesagt hat, denn er war stolz; aber seinen Vater vermißte er mehr, unendlich mehr; und der Groll, den ich gegen ihn entwickelte, wuchs in Toby gegen unsere Mutter. Durch Gleichsetzung oder Intuition auch gegen unseren Großvater Wheeler, den er immer nur als Verdränger oder Rivalen seines Vaters zu sehen vermochte, vielleicht war der Großvater nicht so väterlich seiner Tochter gegenüber. Und ich wurde auch nicht verschont, kein Wheeler. Tobys Unmut und Feindseligkeit wurden so unerträglich, für ihn und für uns, daß meine Mutter seinem Umzug schließlich zustimmte, für den Fall, daß unser Vater bereit wäre, ihn zu sich zu nehmen und für ihn zu sorgen, was unwahrscheinlich erschien. Daß mein Vater ihn gegen jede Voraussage akzeptierte (oder gegen meine, Wunschdenken mehr als alles andere, das habe ich später begriffen), trug nicht wenig dazu bei, daß ich ihn völlig aus meinem Bewußtsein löschen wollte, so als hätte er nie existiert, und daß es mir durch Gleichsetzung oder aus Erbitterung fast gelang, auch meinen Bruder aus meinen Erinnerungen zu tilgen, der ihn vorgezogen hatte und fortgegangen war. Na, du weißt schon, so ist das immer, im Erwachsenenalter und sogar im Alter, das versichere ich dir: aber in der Kindheit ist das Gefühl des Verlassenwerdens und des Unglücks (und von Verrat: das ist es: von erlittener Fahnenflucht) ungleich stärker für denjenigen, der bleibt, wo er war, während andere fortgehen und verschwinden. Auch wenn die anderen sterben, das Gefühl ist nicht sehr anders, für mich zumindest, ein wenig Groll bewahre ich meinen Toten gegenüber. Er ging nach Südafrika, und ich blieb in Neuseeland. Nicht, daß das besser gewesen wäre, Südafrika, es gab keinen objektiven Grund, um das anzunehmen, aber für mich wurde es damals zu einem unendlich attraktiveren
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