Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
Ort, und ich fing bald an, ungeduldig zu werden, zu wünschen, daß ich in das Alter für die Universität käme, in dem ich das Land verlassen könnte, das vielleicht in meiner Wahrnehmung dunkel und klein geworden war durch die Abwesenheiten, und hierher zu kommen. Ich tat es schließlich mit sechzehn Jahren, auf einem Schiff, das so langsam war, daß es sein Ziel nie erreichen zu wollen schien, und da hieß ich schon offiziell Wheeler. Ich erinnere mich nicht, und ich halte es auch nicht für wahr, aber später habe ich eine Art Unrechtsgefühl in bezug auf meine Namensänderung gehabt, auf die Änderung de facto eher als auf die de iure , doch meine Mutter meinte, die notarielle Beglaubigung sei zu meinem Besten erfolgt, wenn nicht sogar, um mir einen Gefallen zu erweisen. Allerdings war in den zwanziger und noch in den dreißiger Jahren alles leichter und normaler, und man war in mancherlei Hinsicht freier als heute; weder der Staat noch die Justiz regulierten und intervenierten so massiv, sie ließen einen atmen und sich bewegen, damit ist es heute vorbei, unsere Bevormundungsmanie existierte damals nicht, und man hätte sie auch nicht geduldet. Es ist also möglich, daß im Lauf der Zeit mein Name ohnehin und mit allen gesetzlichen Folgen Wheeler geworden wäre, ohne nötigen Papierkrieg, durch den Gebrauch und die Sitte sanktioniert, so wie Toby zu seinem Vater gehen konnte nach der bloßen Einigung der Erzeuger und der Genehmigung meiner Mutter, ohne daß irgendeine Behörde oder ein Richter sich in eine so private Angelegenheit einmischte, soviel ich weiß. Wie auch immer, damals nahm ich den Namen Wheeler auch gesetzlich an, und das sehr gern. Überflüssig zu sagen, daß die Beglaubigung nur für mich Folgen hatte und nicht für Toby (das hätte noch gefehlt), von dem ich schon seit vier Jahren so gut wie nichts gehört hatte. Er unterhielt keinen direkten Kontakt, oder, na ja, weder er noch ich suchten ihn. Dann und wann hörte ich vage etwas von ihm über meine Mutter, die ihrerseits, wie ich fürchte, vor allem über unseren Vater etwas von ihm hörte. Und er hörte bestimmt ab und zu von mir über den gleichen Kanal in umgekehrter Richtung. Vage, immer vage. Ich wurde also als Peter Rylands geboren und war es bis zum neunten oder zehnten Lebensjahr, wenn nicht bis zum sechzehnten in partibus . Aber glaub ja nicht, er war auch Toby Wheeler eine Zeitlang, wenn auch gegen seinen Willen natürlich: du kannst dir nicht vorstellen, wie er sich damit herumquälte in unserer Schule in Christchurch; zum Beispiel, wenn die Schüler aufgerufen wurden. Normalerweise ist das nicht so bei dem Namen, den man bei der Geburt erhält, aber von Toby kann man mit Fug und Recht sagen, daß er seinen Namen nicht nur erhalten, sondern auch erobert und gewonnen hat.« Wheelers Gesichtsausdruck änderte sich einen Augenblick, und ich nahm schon an, als ich den neuen sah, daß jetzt eine ironische oder humorvolle Bemerkung kommen würde. »Und dabei war er nie besonders einverstanden mit seinem Vornamen, der von unserem Großvater Wheeler kam, er hatte ihn abbekommen, Pech. Wenn es darum gegangen wäre, den zu ändern, hätte er nur zu gern eingewilligt, ich bin sicher. Und vielleicht wären wir dann zusammengeblieben, wer weiß. Er sagte, er würde ihn an die Nervensäge Sir Toby Belch aus Was ihr wollt erinnern« – in Wirklichkeit sagte er Twelfth Night , wie anders hätte er das Stück von Shakespeare nennen können –, »du weiß, was belch heißt, nicht wahr? Später, schon als Erwachsener, versöhnte er sich ein wenig mit dem Namen, als er Tristram Shandy las, dank der Figur von Onkel Toby.« Und hier schien Wheeler seine Ausführungen über Wheeler und Rylands für beendet zu erklären, denn er fügte wie abschließend hinzu: »Du siehst also. Ich habe es dir gesagt. Eine triviale Geschichte. Eine Scheidung. Die Verbundenheit mit einem Namen. Mit einer Mutter. Mit einem Vater. Eine Trennung. Die Aversion gegen einen anderen Namen. Gegen eine Mutter. Und gegen einen Großvater. Gegen einen Vater.« Er vermischte die beiden Subjektivitäten, die seine und die seines Bruders. »Kein großes Geheimnis.« In diesem Augenblick hatte ich den Eindruck, daß er jetzt, da er mir die Geschichte erzählt hatte, eine Widerlegung dieser Worte von mir erwartete, so langsam hatte er sie von sich gegeben; doch wenn es so war, erhielt er sie nicht. Er mußte wissen, daß sie überhaupt nicht trivial war (diese drastische Trennung
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