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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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oder sogar geliehen wirkt; ein gefangener, gestählter und rabiater Körper, wie uneins mit sich selbst –, glauben wir alle, daß Mulryan nicht fehlgeht, und es kostet uns keine Mühe, uns den reichen Mann vorzustellen, wie er Kinnhaken an sein Gefolge austeilt (und natürlich Gebrüll an seine Untergebenen), sobald er sicher sein kann, daß ihn keine Kamera mehr verfolgt.
    ›Diese Frau weiß viel oder hat viel gesehen und hat beschlossen, nichts zu erzählen, ich bin sicher. Ihr Problem oder mehr noch ihre Qual ist, daß ihr alles die ganze Zeit gegenwärtig ist, die schlimmen Dinge, die sie erlebt hat oder von denen sie weiß, und ihr persönliches Gelübde, über sie zu schweigen. Nicht, daß sie den Entschluß eines Tages gefaßt hätte und daraufhin beruhigt gewesen wäre, obwohl die Entscheidung sie Blut und Tränen gekostet hatte. Nicht, daß sie danach mit der erträglichen Ruhe leben konnte, zumindest zu wissen, was nach ihrem Willen geschehen oder vielmehr nicht geschehen soll; daß sie imstande gewesen ist, diese Dinge oder dieses Wissen in ihrem Kopf zurückzudrängen, sie abzuschwächen, ihnen ganz allmählich die Beschaffenheit und die Gestalt von Träumen zu geben, etwas, das vielen erlaubt, mit der Erinnerung an Grausamkeiten und Enttäuschungen zu leben: zweifeln, daß sie existiert haben, zuweilen; sie vernebeln, sie in den Dunst der danach angesammelten Jahre hüllen, um sie auf diese Weise besser wegschieben zu können. Im Gegenteil, diese Frau denkt unaufhörlich und sehr intensiv daran, nicht nur an das Geschehene oder in Erfahrung Gebrachte, sondern daran, daß sie Schweigen bewahren muß oder will. Nicht, daß sie versucht ist, ihre Entscheidung zu widerrufen (das wäre nur innerlich, nur vor sich selbst); nicht, daß sie ihre Entscheidung als ein ständiges Provisorium empfindet, nicht, daß sie überlegt, sie rückgängig zu machen, und schlaflose Nächte verbringt, um sie zu überdenken. Ich würde sagen, sie ist unwiderruflich wie nur je eine, oder sogar noch mehr, wenn man so will, weil sie nicht einer eingegangenen Verpflichtung gehorcht. Aber es ist, als hätte sie sie erst gestern getroffen, immer gestern. Als stünde sie unter der verstörenden Wirkung einer ewig jungen Vergangenheit, die sich nicht abnutzt, wo doch mehr als wahrscheinlich ist, daß heute alles fern ist, sowohl das Geschehene als auch ihr ursprünglicher Entschluß, daß es nie bekannt werden dürfe oder nicht durch sie. Ich beziehe mich nicht auf Dinge im Zusammenhang mit ihrem Beruf, die wird es auch geben, ebenfalls in sicherer Verwahrung, sondern auf ihr persönliches Leben: Dinge, die sie betroffen haben und jeden Tag betreffen oder sie verletzen und infizieren und jeden Abend, wenn sie sich anschickt, zu Bett zu gehen, Fieber produzieren: Von mir nicht, von mir wird man nichts davon erfahren, muß sie ständig denken, als trüge sie diese alten Erfahrungen unter der Haut, als pulsierten sie dort. Als wären sie noch immer der Kern ihrer Existenz und das, was größte Aufmerksamkeit verlangt, sie werden das erste sein, was ihr beim Erwachen in den Sinn kommt, das letzte, von dem sie sich beim Einschlafen verabschiedet. Und doch ist es keine Obsession, man darf sich nicht täuschen lassen, ihr Alltag ist leicht und energisch; und er ist klar, er leidet nicht darunter. Es geht um etwas anderes: es geht um Treue zu ihrer Geschichte. Diese Frau wäre für viele von großem Nutzen, sie ist perfekt im Bewahren von Geheimnissen und damit auch im Umgang mit ihnen und in ihrer Weitergabe, darin ist sie absolut vertrauenswürdig, gerade weil sie wachsam bleibt und nichts für sie aufhört, lebendig und anwesend zu sein. Auch wenn das bewahrte Geheimnis in der Zeit fernrückt, wird es nicht diffus, und das gleiche würde auf die weitergegebenen zutreffen. Nicht eine einzige Kontur geht ihr verloren. Nie würde sie nach der Weitergabe vergessen, wer was weiß und nicht weiß. Und ich bin sicher, daß sie sich an alle Gesichter und Namen erinnert, die vor ihrem erhöhten Sitz vorbeidefiliert sind‹, sagt die junge Pérez Nuix über eine Richterin in reifem Alter und mit ausgeglichenem, fröhlichem Gesicht, die wir beide vom Kontrollstand aus beobachten, während Tupra und Mulryan ihr respektvolle, umständliche Fragen stellen, den Damen wird immer Tee angeboten, wenn es Nachmittag ist und sie tatsächlich Damen sind von ihrer Position oder ihrem Auftreten her, den Herren nicht, außer wenn sie große Fische sind oder in

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