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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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oder nicht verwerfen würde oder nicht verworfen hätte, sehe ich an ihren Augen, wie ich es in den Augen anderer Frauen seit Jahren gesehen habe, ohne mich zu täuschen – als junger Mensch ist man kurzsichtiger und astigmatischer und weitsichtiger, alles zugleich –, und ich spüre und höre es, wenn sie aus Schüchternheit oder wegen drohender Errötung kurz ihre Energie sammelt, bevor sie sich an mich wendet, um eine Weile zu plaudern, das heißt, über die Begrüßung oder die einzelne Frage oder Antwort hinaus, als nähme sie Schwung oder Anlauf oder als würde sie den ersten Satz (der nie kurz ist, seltsamerweise) im Geist von Anfang bis Ende konstruieren, ihn durchstrukturieren und memorieren, bevor sie ihn ausspricht. Das macht oft jemand, der in einer fremden Sprache spricht, aber diese junge Frau und ich, wir benutzten das Spanische, wenn wir allein waren oder hinter vorgehaltener Hand sprachen, das auch ihre Sprache ist.
    Und mir schwand jeder Zweifel eines Morgens, an dem sie nicht von Errötung bedroht war, obwohl diese sie geradezu hätte anfallen müssen. Man hatte mir die Schlüssel des namenlosen Gebäudes übergeben, und im Glauben, der erste zu sein, der an jenem Morgen die Wohnung betrat, die wir belegten (eine frühmorgendliche Schlaflosigkeit hatte mich dazu gebracht, das Haus zu verlassen, um den Tag wirklich anzufangen und hier einen Bericht zu Ende zu bringen), und daher im Glauben, sie aufzuschließen (die nächtlichen Riegel waren vorgelegt), wunderte ich mich, Geräusche und ein leises Trällern in einem der Büros zu hören, dessen Tür ich nicht mit Gewalt, wohl aber energisch, mit einer einzigen Bewegung aufriß in der diffusen Vorstellung, den möglichen Eindringling, den früh aufgestandenen Spion oder heimtückischen burglar zu überrumpeln und auf diese Weise im Vorteil zu sein, wenn ich mich ihm entgegenstellen müßte, so sehr er auch trällern und so ruhig er dadurch auch wirken mochte. Und dann sah ich sie, die junge Nuix, vor dem Tisch stehend, nackt von der Taille aufwärts und mit einem Handtuch in der Hand, mit dem sie genau in diesem Augenblick ihre Achsel rieb, mit erhobenem Arm. Unten trug sie einen engen Rock, ihren Rock vom Vortag, ich achte jeden Tag auf ihre Kleidung. Der Anblick überraschte mich so sehr (und zugleich nicht so sehr oder vielleicht gar nicht: ich wußte, daß es eine Frauenstimme war, die da trällerte), daß ich nicht tat, was ich hätte tun sollen, eine hastige Entschuldigung murmeln und die Tür wieder schließen, von draußen natürlich. Es waren nur ein paar Sekunden, aber diese Sekunden ließ ich verstreichen (eins, zwei, drei, vier; und fünf), während ich sie, glaube ich, mit einem Ausdruck anschaute, in dem sich Frage, Anerkennung und falsche Bestürzung mischten (der also entschieden dumm war), bevor ich »guten Tag« sagte in völlig neutralem Ton, das heißt, als wäre sie so bekleidet wie ich oder fast, ich trug noch den Regenmantel. In gewissem Sinne, nehme ich an, tat ich heuchlerisch, als wenn nichts wäre und als würde ich nichts sehen; dabei half mir jedoch auch – möchte ich glauben –, daß die junge Nuix ebenfalls tat, als wenn nichts wäre. Während dieser Sekunden, in denen ich die Tür offenhielt, bevor ich mich zurückzog, bedeckte sie sich nicht nur nicht, ängstlich oder verschämt oder zumindest erschrocken (sie hätte es leicht gehabt mit dem Handtuch), sondern erstarrte, wie das eingefrorene Bild eines Videos, in genau der gleichen Haltung wie in dem Augenblick, da ich in das Büro hereingeschneit war, und betrachtete mich mit einem fragenden, aber alles andere als dummen Blick, weder falsch noch echt bestürzt. Das einzige, was sie also tat, war, mit dem Trällern und in ihrer Bewegung aufzuhören: Sie war dabeigewesen, sich abzutrocknen, sich abzureiben, und hörte damit auf, das Handtuch reglos in der Luft, in der Höhe ihrer Rippen. Und in dieser Haltung bedeckte sie nicht nur nicht ihre Nacktheit (sie tat es nicht, nicht einmal im Reflex), sondern erlaubte mir, da sie den Arm weiter hoch hielt, ihre Achselhöhle zu betrachten, und wenn eine nackte Frau diesen Anblick erlaubt und eine oder beide entblößt, ist es, als würde sie damit noch eine zusätzliche Nacktheit darbieten. Es war eine natürlich saubere, glatte und frisch gewaschene Achselhöhle, wie ich schlußfolgerte, und natürlich rasiert, ohne das schreckliche Haarbüschel, das einige Frauen heutzutage als merkwürdiges Protestzeichen gegen den

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