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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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strecken. Er könnte in einigen Fällen nützlich sein, sofern man ihn vor dieser Art von Risiken bewahren würde‹, sagt Rendel über einen angenehmen, jugendlich gebliebenen Romancier in den Fünfzigern – ausgeprägte koboldhafte Gesichtszüge, gelassene Stimme, leichter Hampshire-Akzent, Mulryan zufolge, runde Brille, keine hohle Rede –, als er ein Interview mit ihm hört und sieht, das aus zu großer Nähe aufgenommen wurde, fast nur Großaufnahmen, wir haben nicht ein einziges Mal seine Hände gesehen; und uns scheint, daß Rendel recht hat, daß der Romancier ein mutiger Mann in Haltung und Wort ist, aber vor der geringsten Gewalt verzagen würde, weil er sie sich in seiner täglichen Wirklichkeit nicht einmal vorstellen kann: er ist fähig, darüber zu sprechen, aber nur, weil er sie als abstrakt empfindet. Er hätte nicht einmal Hände, wie auf dem Video, um sich zu wehren.
    ›Mit diesem Typen würde ich nicht einmal über die Straße gehen, er könnte mich in einer plötzlichen Anwandlung unter die Räder eines Wagens stoßen, wenn ich ihn in einem schlechten Moment erwischt hätte. Er ist unbeherrscht und ungeduldig, man kann sich nicht vorstellen, daß er in der Lage ist, von einem Büro aus anderen Befehle zu erteilen, auch nicht, daß er irgendein Geschäft aufgezogen hat, schon gar nicht ein gutgehendes, was soll man also sagen über sein Imperium. Sein natürliches Los wäre gewesen, in der Abenddämmerung Passanten zu überfallen oder ein brutaler Schläger zu sein, ein überdrehter, bezahlter Killer. Er ist ein Nervenbündel, er kann nicht warten, er hört nicht zu, was man ihm erzählt, interessiert ihn nie, er kann keine fünf Minuten allein sein, aber er sucht nicht Gesellschaft, sondern Publikum. Er ist mit Sicherheit ein Choleriker, vor dem man sich schwer hüten muß, bestimmt rutscht ihm leicht die Hand aus, von der Stimme ganz zu schweigen, er wird den ganzen Tag und Abend seine Angestellten, seine beiden Kinder, seine beiden Ex-Frauen und seine sechs Geliebten anschnauzen (oder vielleicht sind es sieben, es gibt Zweifel). Es ist ein Rätsel, daß er Unternehmer oder Chef von irgendwas ist, außer von einer Kaschemme in Soho, der jeden Tag die Schließung droht. Zur Erklärung fällt mir nur ein, daß er große Panik verbreitet und in einem solchen Ausmaß hyperaktiv ist, daß ihm zwangsläufig einige seiner zahllosen Projekte und dubiosen Geschäfte gelingen: wahrscheinlich und rein zufällig die profitabelsten. Es kann auch sein, daß er Gespür hat, aber das paßt nicht besonders zu seiner Hast: das erfordert Beharrungsvermögen und Ruhe, und diesem Typen ist die Bedeutung dieser beiden Wörter unbekannt; was ihm widersteht oder Mühe macht, gibt er sofort auf, das ist seine Art, Zeit zu gewinnen. Ich weiß nicht, was zum Teufel er politisch machen könnte, wenn er aktiv werden sollte, wie man behauptet. Außer Ungeheuerlichkeiten und Anmaßungen, natürlich. Ich meine, gegenüber der Wählerschaft, er würde seine möglichen Wähler beschimpfen, sobald ihn ihr erster Vorwurf träfe, beim geringsten Versehen würde er sie mit Beschimpfungen fertigmachen‹, sagt Mulryan über einen Multimillionär, der fast immer lächelt bei den verschiedenen gefilmten Anlässen, sportlichen, wohltätigen, monarchischen, beim Besteigen eines Fesselballons, beim Pferderennen in Ascot und beim Derby in Epson mit den jeweiligen grotesken Accessoires, bei der Unterzeichnung eines Abkommens mit einer Schallplattengesellschaft oder einer nordamerikanischen Messe- und Filmgesellschaft, in der Universität Oxford bei einer exotischen Zeremonie bunter Togen (vielleicht ad hoc abgehalten, nie hatte ich etwas Derartiges dort gesehen), beim Händedruck mit dem Premierminister und mehreren Nebendarstellern und irgendeinem ehehalber geadelten Ehegatten, bei Premieren, Einweihungen, Konzerten, Bällen, bei vagen Aristokratien, als Schirmherr von Talenten aller effektvollen Künste, das heißt solcher, die Publikum, performances und Applaus erlauben; und obwohl er ständig lächelt und zufrieden ist in der Fernsehreportage oder dem Fernsehporträt – große Geheimratsecken, die jedoch nicht seine Stirn verlängern, die horizontal wirkt, querformatig; invasive, sehr kräftige, praktisch pferdehafte Zähne; eine anormale Bräune; ein Anflug von Haargekringel in seinem Nacken und sogar eine Spur tiefer als plebejisches Überbleibsel; eine für jede Gelegenheit passende Kleidung, die jedoch gleichbleibend usurpiert

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