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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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die Tatsache, daß es in meinen Augen keinen zweiten und dritten und vierten gab, hatte zur Folge, daß das Ganze in seiner Gesamtheit (in der Alltäglichkeit, was mehr zählt) wie ein nicht weiter bedeutungsvolles Spiel wirkte oder wie das Abschließen hypothetischer Wetten, wie Exerzitien in Fabulierkunst und Scharfsinnigkeit. Und so hatte ich lange Zeit niemals das Gefühl oder die Vorstellung, daß ich jemandem hätte schaden können.
    Als es in Venezuela zum Putsch gegen Hugo Chávez kam, konnte ich nicht umhin, mich zu fragen, ob wir wohl indirekt damit etwas damit zu tun hatten; zuerst mit seinem scheinbaren anfänglichen Erfolg, dann mit seinem grotesken Scheitern (wenig Entschiedenheit schien im Spiel gewesen zu sein); und mit seinem Chaos in jedem Fall. Beim Fernsehen paßte ich auf, ob General Ponderosa oder wie er wirklich heißen mochte im Bild erschien, aber ich sah ihn nie, vielleicht hatte er nicht teilgenommen. Vielleicht war der Putsch den Bach runtergegangen, weil Tupra von jeder Finanzierung und Unterstützung abgeraten hatte, wer konnte das wissen. Bei ihm war ich nicht imstande, absolutes Schweigen zu bewahren:
    »Haben Sie die Sache in Venezuela gesehen?« fragte ich ihn eines Morgens, kaum daß ich in sein Büro getreten war.
    »Ja, ich habe es gesehen«, antwortete er mir mit dem gleichen Ton, mit dem er seinerzeit dem zivilen Militär aus Venezuela bestätigt hatte, daß er unsere Telefonnummer nicht besaß, wohl aber wir die seine. Es war sein schlüssiger oder vielleicht sollte man sagen abschließender Ton. Und als er bemerkte, daß ich zögerte, ob ich nachfragen sollte oder nicht, fügte er hinzu: »Noch etwas, Jack?«
    »Weiter nichts, Mr. Tupra.«
    Nein, sie pflegten mir meine Erfolge und Mißerfolge nicht mitzuteilen.
    ›Vielleicht ist es gewagt, aber …‹, ›Ich kann mich irren, obwohl …‹ Dieses ›aber‹ und dieses ›obwohl‹ sind der Spalt, in den man den Fuß setzt, um am Ende sämtliche Türen aufzustoßen, und nach kurzer Zeit verraten die verbalen Formeln selbst unsere Großtuerei: ›Ich wette meinen Kopf darauf, daß dieser Typ bei der geringsten Unannehmlichkeit das Lager wechseln würde und das so oft wie nötig, sein größtes Problem wäre, wenn man ihn in keines aufnehmen würde, wegen offenkundiger Feigheit‹, sagt man über ein Beamtengesicht – saubere Glatze, schmutzige Brillengläser –, das man bis vor einer halben Stunde nie zuvor gesehen hatte und jetzt durch das falsche Fenster oder den falschen ovalen Spiegel mit einer geistigen Verfassung beobachtet, die eine Mischung aus Überlegenheit und Ohnmacht ist (die Ohnmacht der Überzeugung, daß man es immer mit versuchter Täuschung zu tun haben wird, die Überlegenheit des heimlichen Schauens, alles zu sehen, ohne die Augen zu gefährden).
    ›Diese Tussi ist ganz versessen darauf, daß man sie beachtet, sie wäre der absonderlichsten Einfälle fähig, um Aufmerksamkeit zu erregen, und außerdem muß sie angeben vor allem, was sich bewegt, in jeder Situation, nicht nur vor Personen, bei denen es sich lohnen würde und die ihr nützen könnten, sondern vor ihrem Friseur, ihrem Gemüsehändler und sogar noch vor ihrer Katze. Sie vermag ihren Drang nicht zu dosieren oder ihr Publikum zu wählen: sie unterscheidet nicht mehr, sie kann niemandem besonders nützen‹, sagt Tupra über eine berühmte Schauspielerin – wunderschöne Haarmähne, aber sehr angespanntes, steinernes Kinn; verhext durch den Dünkel –, als er sie auf einem Video betrachtet, und wir alle wissen, daß er recht hat, daß er ins Schwarze getroffen hat wie fast immer, obwohl es für sein Urteil kein einziges – wie soll man sagen – beschreibbares Element gibt, auf das seine Behauptungen sich stützen könnten.
    ›Dieser Typ hat Prinzipien und ist unbestechlich, dafür würde ich die Hand ins Feuer legen. Oder besser gesagt: Es sind nicht einmal Prinzipien, vielmehr erstrebt er so wenig und verachtet alles so sehr, daß weder Schmeichelei noch Belohnung ihn dazu bringen würden, Positionen zu verfechten, die ihn nicht überzeugen oder zumindest amüsieren. Dem kann man nur mit Drohungen beikommen, denn Angst kann er durchaus empfinden, physische Angst, meine ich, er hat keine Ohrfeige bekommen in seinem Leben oder sagen wir, seit er die Schule beendet hat. Beim geringsten Schmerz würde er klein beigeben. O ja, das würde ihn völlig durcheinanderbringen. Beim ersten Kratzer, beim ersten Piekser würde er die Waffen

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