Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
Nuix beziehungsweise den höheren oder niedrigeren Instanzen – den Kunden – ankam, die sie unter Vertrag nahmen und sich ihrer bedienten, das heißt, unserer und unserer vermeintlichen Gabe oder angeblichen Fähigkeiten oder vielleicht nur unserer Kühnheit, die mehr wurde, immer mehr, die ständig zunahm.
In dem Maße, wie die Wochen vergingen und dann die Monate, erweiterte ich das Spektrum meiner Antworten, ebenso wie die Unverfrorenheit:
»Glaubst du, daß diese Frau untreu ist, obwohl sie das Gegenteil schwört und es keine Beweise gibt?« fragte mich Mulryan über eine gutgekleidete Frau mit leicht krummer Nase, die es in ihrem Wohnzimmer vor ihrem Mann leugnete, während beide auf einem Sofa vor dem laufenden Fernseher saßen und wahrscheinlich von einer verborgenen Kamera gefilmt wurden, die womöglich der Ehemann höchstpersönlich (ein Typ mit großflächigem Gesicht und einem Hang zum Lächeln, auch wenn es deplaziert war, da war es deplaziert) in das Gerät eingebaut hatte, vielleicht hatte er unseren Rat gesucht, weil er sich außerstande fühlte, ihre aufrichtigen von den falschen Tönen zu unterscheiden, die Gewohnheit und das Zusammenleben ebnen bisweilen ein, eine gewisse Kraftlosigkeit oder Schlaffheit halten Einzug in die Dialoge und in die Antworten, und es kommt ein Tag, an dem das Wichtige und das Unbedeutende, das Wahre und das Falsche die gleiche geringe Dosis Emphase erhalten.
»Ja, ich glaube, daß sie es ist«, antwortete ich. »Ihr Leugnen war zu ungeniert, zu eloquent, fast sarkastisch. Seine Frage hat sie nicht wirklich überrascht, trotz ihres Getues. Und sie hat sie auch nicht verletzt. Sie hatte sie schon eine ganze Weile jeden Tag erwartet; deshalb hatte sie ihre Reaktion parat, fast die Worte auswendig gelernt, die sie benutzen würde, und den Ton und den Gesichtsausdruck geübt, mit denen sie ihm diese Worte sagen würde. Wenn nicht vor einem Spiegel, so doch zumindest geistig. Das alles war längst in ihrer Vorstellung, sie mußte es nur aktivieren. Sie sehnte ihn fast herbei, den unangenehmen Augenblick.«
»Du glaubst es. Du glaubst es. Nur das, Jack? Oder bist du sicher?« beharrte Mulryan, wobei er nicht bedachte, was wir alle wissen: daß niemand sich einer Sache sicher sein kann, es sei denn, er habe sie getan oder an ihr teilgenommen oder sei ihr Zeuge gewesen (und oft nicht einmal dann: der Blutfleck).
»Ich bin sicher in dem Maße, wie meine Sicherheit von dem kommt, was ich sehe und wahrnehme, von dem, was du mir anbietest«, sagte ich gewunden, in einem letzten Versuch, mich ein wenig bedeckt zu halten und nicht ganz und gar ins kalte Wasser der Verwegenheiten zu springen. »Sie hat zum Beispiel gesagt, daß sein Verdacht ihr ›irrwitzig komisch‹ vorkam. Sie hätte dieses Adverb nicht benutzt, wenn sie es nicht schon gedacht, ausgewählt, geplant hätte. Auch nicht, wenn er ihr wirklich so vorkam, komisch. Wenn es so gewesen wäre, hätte sie keines benutzt, oder allenfalls ein geläufigeres wie ›ungeheuer‹, das weniger betont, weniger burlesk aufgeladen ist. Und wenn die Anschuldigung falsch ist, hätte sie sie nicht als ›reizend‹ oder ›amüsant‹ bezeichnet – › exhilarating ‹ hatte sie gesagt –, noch hätte sie sich mit dem Argument erniedrigt, daß ihr nichts lieber wäre, ich Arme, als bei anderen Männern Begehren zu wecken. Wenige Frauen glauben fest und aufrichtig, daß sie keines wecken können, egal, wie alt sie sind und wie sie aussehen. Ich meine die gutsituierten, und diese Dame scheint es ziemlich zu sein. Sie können tun, als glaubten sie es, sie können nach außen hin klagen, damit man ihnen widerspricht und sie bestätigt, sie können sich die Frage stellen und sogar in Momenten der Niedergeschlagenheit oder nach einer Zurückweisung daran zweifeln. Selten mehr als das. Sie erholen sich rasch von dieser Art Niedergeschlagenheit. Sie schreiben die Zurückweisung rasch einem schon besetzten Herzen zu, das ist für sie gewöhnlich eine würdige, annehmbare Erklärung.« › Nor Hell a fury, like a woman scorn’d ‹, zitierte ich für mich: ›Ein verschmähtes Weibsstück ist die wahre Hölle.‹ Und ich dachte: ›So schlimm ist es nicht.‹ »Und wenn sie es eines Tages endlich glauben, dann erzählen sie es nicht herum. Ihrem Partner schon gar nicht.«
»Aber er hat ihr geglaubt«, wandte oder warf Mulryan ein.
»Dann muß man ihn eben eines Besseren belehren«, sagte ich noch forscher. »Ihm wird immer die
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